Larvierte Depression – Online-Beratung

Larvierte Depression – Sonderform einer depressiven Störung

Typisch depressive Mimik

Typisch depressive Mimik ©Eléonore H/ fotolia.com

Eigentlich sollte man meinen, dass es einem Fachmann nicht besonders schwer fallen sollte, eine depressive Person als solche zu diagnostizieren. Zu auffällig sind die äußeren Veränderungen, die sogar ein Laie leicht erkennt. Depressive haben einen reduzierten Muskeltonus, was die charakteristische Schlaffheit ihres Gesichtes bedingt; besonders die Partie um die Augen herum scheint bei Traurigkeit und Schwermut verändert zu sein.

Diese Spannungsminderung betrifft aber mehr oder weniger alle Antigra- vitätsmuskeln: Man hat den Eindruck, der Melancholiker kann sich nicht einmal mehr gegen die Erdanziehungskraft behaupten – so „danieder liegend” kommt er daher. Solche Zustände sind auch dem Nichtfachmann leicht erkennbar.

Aber das gilt nur für große und ausgeprägte Formen einer Depression. Leichtere Fälle sind schon viel schwerer zu diagnostizieren, besonders wenn ungewöhnliche körperliche Symptome existieren, die im Fokus der Aufmerksamkeit von Arzt und Patient stehen.

Für solche Depressionsformen prägte man den medizinischen Terminus larvierte Depression oder auch maskierte Depression, weil die depressive Störung sich hierbei hinter der Larve eines körperlichen Symptoms versteckt.

Körperliche Manifestationen einer larvierten Depression trotzen nicht selten allen somatischen Behand- lungsversuchen und zwingen die Patienten zu einer Odyssee von Arzt zu Arzt. Unangenehme und teils auch gefährliche Untersuchungen werden in Kauf genommen, um endlich eine exakte Diagnose der rätselhaften Beschwerden zu bekommen – ein Wunsch, der sich in der Regel nicht so leicht erfüllen lässt. Die hintergründige depressive Verstimmung wird oft Jahre nicht erkannt; manchmal Jahrzehnte nicht. Ungeheure Gelder gehen jährlich den Krankenkassen durch die unsinnigen Behandlungsversuche solcher Beschwerden verloren.

Die körperlichen Symptome solcher larvierten Depressionen – die depressiven Äquivalente – führen manchmal zum „Hypochondertum”; immer dann, wenn wegen der rätselhaften therapierefraktären Symptome eine ängstliche Selbstbeobachtung einsetzt.
Larvierte Depressionen sind aber nicht von Haus auf hypochondrische Manifestationen, weil bei diesem Patiententyp die ängstliche Selbstbeobachtung – beim Hypochonder obligatorisch – nicht generell gegeben ist.

Schmerzen häufig bei larvierter Depression

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Sehr häufig suchen Patienten wegen unerklärlicher körperlicher Missempfindungen oder wegen Schmerzen die Praxen von Ärzten und Heilpraktikern auf. Über eine depressive Verstimmtheit wird selten geklagt, weil das beunruhigende Schmerzgeschehen ganz im Vordergrund steht.

Neuere Erhebungen an Tausenden von Patienten, die abschließend als depressiv eingestuft wurden, zeigten, dass fast siebzig Prozent von ihnen an Schmerzen litten. Chronische Schmerzzustande sind sehr, sehr häufig die Folge von manifesten Depressionen oder von larvierten Formen.

Aber auch anders herum wird ein Schuh daraus: Chronische Schmerzen – aus rein körperlicher Ursache – können zu einer Depression führen, weil chronische Schmerzen für den Körper eine Stresssituation darstellen. Schmerzen und depressive Verstimmung „passen” demnach gut zusammen und bedingen sich teilweise gegenseitig.

Neurobiologische Forschungen konnten diese Zusammenhänge sogar an bestimmten Hirnregionen festmachen: Seelische Schmerzen – Kummer und Leid –, z. B. durch Objektverluste, werden in spezifi- schen Hirnarealen des präfrontalen Kortex verarbeitet, genau in den Arealen, die auch aktiv werden, wenn der Mensch physischen Schmerzen ausgesetzt ist. Physischer und seelischer Schmerz haben demnach dieselbe Repräsentationsebene im Gehirn. Patienten mit einer depressiven Verstimmung, die zusätzlich noch unter chronischen organischen Schmerzen leiden, sind nur dann gut zu therapieren, wenn es möglich ist, auch die Schmerzsituation zu beherrschen.

Häufige Schmerzgebiete bei larvierten Depressionen sind der Kopf und die Gegend der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Kreuzschmerzen sind sehr häufig das depressive Äquivalent einer belastenden Lebenssituation. Auch rheumatische Schmerzen in den Gelenken können mit einer versteckten Depression assoziiert sein; häufig sind es z. B. auch die Schulter-Arm-Schmerzen, die Brachialgien.

Unter dem Deckmantel der larvierten Depression treten manchmal Gefühlsstörungen auf, die sich auf umschriebene Hautareale begrenzen und diese dann überempfindlich erscheinen lassen oder – gegen- teilig – gefühllos und taub. Diese Sensibilitätsstörungen lassen einen Neurologen an Nervenentzündun- gen denken oder an ein Wurzelreizsyndrom.

Die Hautregion in der Umgebung des Brustbeines z. B. kann Empfindungen hervorrufen, die einem physikalischen Druck ähneln, der auf diese Region einwirkt. Oder handflächengroße Gebiete auf den Außenseiten der Oberschenkel, die das Gefühl des Wundseins hervorrufen und äußerst sensibel auf die Berührung durch Kleidungsstücke reagieren. Schmerzhaft unangenehme, kalte oder brennende Hautsen- sationen; Schmerzen durch Neuralgien oder Myalgien usw. – all diese Erscheinungen können körperliche Manifestationen einer larvierten Depression sein oder durch eine solche verstärkt werden.

Unangenehm an dem Ganzen ist die Tatsache, dass die meisten dieser Krankheitssymptome sich nur sehr schwer von den Schmerzzuständen abgrenzen lassen, die eine organische Basis haben. So kann z. B. das schmerzhafte Schulter-Arm-Syndrom eine Depression maskieren – andererseits aber auch durch eine Kompression des Armnerven ausgelöst werden.

Viele der neurologischen Erscheinungen, die larvierte Depressionen manchmal im Gefolge haben, können auch im Verlauf einer organischen Erkrankung auftreten, wie z. B. beim Morbus Parkinson oder sogar durch Medikamente ausgelöst werden. Eine sorgfältige diagnostische Abklärung muss stets erfolgen, bevor man ein schmerzhaftes Syndrom oder ein neurologisches Symptombündel einer larvierten Depression zuordnet.

Weitere Symptome larvierter Depressionen

Bei einer depressiven Episode kommt es durch Verschiebungen in der Stoffwechselaktivität von Neuro- transmittern – hauptsächlich von Serotonin und Noradrenalin – zur Störung der Balance verschie- dener Hirnareale untereinander. Da im Zentralnervensystem alles mit allem zusammenhängt, kann daraus eine Fehlsteuerung von Organen bzw. von Organsystemen resultieren, da diese der Feinregulierung durch das vegetative Nervensystem unterworfen sind.

Weitere Symptome larvierter Depressionen beinhalten deshalb alles, was der menschliche Körper zu „bieten” hat (Liste nicht vollständig):

  • Herzsymptome, mit Brennen und Druckgefühl, und funktioneller Störung im Schlagrhythmus; Blutdruck kann erhöht oder erniedrigt sein
  • Kloßgefühl in der Halsgegend (Globus hystericus)
  • Visuelle und auditive Störungen
  • Störungen der Sexualfunktion: Wegfall von Libido und sexueller Appetenz
  • Appetitmangel und Gewichtsverlust, ebenso wie Heißhungerattacken
  • Atemstörungen, blockierte Atmung, Reifengefühl um die Brust; Auftreten verstärkter Anfälle bei Asthmatikern
  • Schlafstörungen, zerhackter Schlaf, klassisches Morgentief mit Müdigkeit und dem Gefühl der Zerschlagenheit; Besserung am Nachmittag bzw. am Abend
  • Beschwerden von Seiten des Urogenitaltraktes: Brennen beim Wasserlassen, schmerzhafter Harn- und Stuhldrang, funktionelle Beschwerden von Seiten der Prostata (Prostatopathie), Stotterblase, bei Frauen auch Fluor genitalis
  • Oberbauchbeschwerden, Blähungen und kolikartige Leibbeschwerden, Magendruck bzw. Völlegefühl, Verstopfung
  • Durch eine Verminderung der körpereigenen Immunabwehr: Anfälligkeit für Infektionen aller Art
  • Und so weiter und so fort

Wie Sie sehen, sehr verehrte Besucherinnen und Besucher, kann eine larvierte Depression sich hinter fast allen körperlichen Störungen verbergen, die man sich vorstellen kann. Es können so „exotische” Symp- tome wie Haarausfall oder Blasenstörungen genauso vorkommen wie Kreuzschmerzen.

Wichtig ist eine genaue diagnostische Abklärung der Symptome und erst wenn dadurch keine Befunde erhoben werden können, die auf eine organische Störung schließen lassen, ist das Vorhandensein einer larvierten Depression ins Kalkül zu ziehen und eine medikamentöse Behandlung einzuleiten. Bei leichteren Fällen kann mit Johanniskraut ein Versuch gemacht werden; sonst kommen die klassischen oder die modernen Antidepressiva zum Einsatz. Auch Psychotherapie ist wirksam, wenn dadurch eine veränderte Einstellung zu problematischen Lebenssituationen erreicht werden kann.