Professor Dr. med. A. D. Jonas – Die Eigensprache

Eigensprache und Psychosomatose

Prof. Dr. A. David Jonas

Prof. Dr. A. David Jonas

Diese Seite möchte ich meinem geschätzten Lehrer Prof. Dr. med. A. D. Jonas widmen – einem amerikanischen Psychiater, dessen psychotherapeutische Vorgehensweise bei der Behandlung von Psychosomatosen mittlerweile von vielen Ärzten, Psychiatern und Psychologen übernommen wurde.

Ich hatte das große Glück diesen bemerkenswerten Menschen in den achtziger Jahren kennen zu lernen und einige Jahre seine Seminare zu besuchen, die er an einem psychologischen Institut in Würzburg und an verschiedenen psychosomatischen Kliniken abhielt.

Auf Professor Jonas geht die Methodik der ideolektischen Gesprächsführung zurück – eine Technik – die anhand der Eigensprache des Individuums die Wurzeln einer psychosomatischen Erkrankung aufspürt.

(Kurzdefinition Eigensprache: Die Eigensprache oder der Idiolekt ist die individuelle Sprache des Einzelmenschen, bezogen auf Wortschatz, Ausdrucksweise, Aussprache, Gestik und Mimik)

Im Folgenden möchte ich dem interessierten Leser mit den psychologischen Hintergründen dieser Methode bekannt machen, weil sie überraschender Weise dem zwanglosen Geplauder ähnelt, mit dem wir Alltagsgespräche führen und weil sie einen engen Bezug zur menschlichen Evolutionsgeschichte hat.

Ein interessantes Buch zum Thema Eigensprache ist im Huttenschern Verlag von Peter Winkler erschienen. Der Autor nimmt darin Bezug auf die Seminare von A. D. Jonas.

Laute drücken Gefühle aus

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Lautäußerungen im Tierreich drücken den jeweiligen Gemütszustand eines Tieres aus. Hundefreunde werden dies bestätigen; erkennen sie doch an spezifischen Lauten, was in ihrem Liebling vorgeht. Durch Körperhaltungen und Gebärden, verbunden mit Tönen, kommunizieren Tiere auf vielfältige Weise miteinander. Schallwellen sind demnach ein wichtiges Medium der Verständigung im Tierreich.

Beim Menschen war und ist das natürlich nicht anders. Allerdings ist unsere komplexe Wortsprache, mit der wir abstrakte Gedankengänge formulieren können, evolutionsbiologisch gesehen noch relativ jung. Millionen Jahre währende Zeitspannen vorher kommunizierten menschliche Frühformen, wie z.B. der Australopithecus, ausschließlich in einer Art Ursprache miteinander. Das Ziel hierbei war der Austausch von Gefühlen.

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Sie unterhalten sich… ©Sergey Peterman/ fotolia.com

Dieser Urtyp menschlicher Kommunikation existiert heute noch: Die Interaktionen zwischen einer Mutter und ihrem Säugling folgen diesem urzeitlichen Muster. Die Babysprache – die beide sprechen – beruht nicht, wie sich jeder vorstellen kann, auf einem sachlichen Informationsaustausch. Die Brücke zwischen einer Mutter und ihrem Kind ist die Sprache der Gefühle, die sich in hohen Tonlagen und ausgeprägter Gesichtsmimik widerspiegelt.

Überbleibsel dieser Urkommunikation finden sich noch heute – auch bei Erwachsenen: Im zwanglosen Alltagsgeplauder, das nicht logisch struk- turiert ist, kommen zwischen den Zeilen die Gefühle der Sprechenden zum Vorschein. Durch ein Aufeinander eingehen der Gesprächspartner werden unbewusste Beeinflussungen wirksam, die eine veränderte seelische Einstellung und Befindlichkeit nach sich ziehen können.

Vormenschen kommunizierten natürlich weitaus primitiver – die psychischen Effekte aber waren diesel- ben. Präverbale Lautgebilde und nonverbale Körpersprache waren ihre Signale; sie gaben Ausdruck darüber, was mit ihnen „los” war. Mit dieser Ursprache beeinflussten unsere Ururahnen sich gegenseitig – nicht unähnlich der Einflussnahme die ein geschickter Therapeut heutzutage auf seine Patienten ausübt. Die Gemütsverfassung des Einzelnen wurde auf diese Weise mit den Belangen der Gruppe abgestimmt.

Die Artikulation des Frühmenschen war, vereinfacht ausgedrückt, ein Produkt des limbischen Systems, jener Gehirnregion im Mittelhirn, in der die Gefühle ihren Sitz haben.

Sprache kommuniziert Gefühle und Fakten

Mit der rasanten Evolution des Neokortex – des Großhirns – traten neuroanatomische Veränderungen ein, die, letztendlich, den Menschen die Fähigkeit bescherten logisch Denken zu können. Interessanterweise ist unser Sprachzentrum im linken Großhirn lokalisiert, jener Hirnregion, die auch den Verstand beherbergt. Die Fähigkeit zum abstrakten Denken und zum logischen Schlussfolgern ist dadurch eng verknüpft mit der Fähigkeit, sich darüber austauschen zu können.

Dem modernen Menschen dient deshalb sein Stimmapparat dazu, Gefühle auszudrücken (wie beim Vormenschen) und logisch-sachliche Informationen zu übermitteln. Fürs Logische ist die linke Hirnhälfte verantwortlich; fürs Gefühlhafte die rechte. Da die Hemisphären nicht unabhängig voneinander agieren, ist bei allem, was ein Mensch so von sich gibt, immer auch die rechte Hemisphäre beteiligt.

Eine Trennung von Gefühl und Verstand ist nicht möglich

Das kann man nicht trennen… ©cirquedesprit/ fotolia.com

So ist es nicht verwunderlich, dass auch bei anscheinend „reinen” Sach- themen rechtshemisphärische Einflüsse sich bemerkbar machen – unter anderem dadurch, dass die mitbeteiligte Gefühlsebene die Wortwahl des Sprachzentrums beeinflusst. Die Gefühlsebene – die unterschwellig bei jeder Kommunikation mitschwingt – steuert zusätzlich noch Gestik und Mimik des Sprechenden und ist für die Betonung des Gesagten verantwortlich.

Obwohl jede Kommunikation immer beide Elemente enthält – das logische und das emotionale – existieren bei den einzelnen Persönlichkeiten doch große Unterschiede, was die jeweiligen Anteile anbelangt. Der eine ist mehr der Gefühlsmensch, der oft aus dem Bauch heraus handelt, während ein anderer, als Vernunftmensch, sich in erster Linie an seinem Verstand orientiert.

Sind Situationen sehr emotionsgeladen – dominieren die Gefühle, und die Vernunft spielt, wie jeder weiß, dann eher eine untergeordnete Rolle; es kommt eben sehr stark auf die jeweilige Situation an.

Wortbedeutung wird durch Gefühle verzerrt

Da die rechte Gehirnhälfte – zuständig für gefühlhafte Abläufe – stumm ist, kann sie zu ihrem „Recht” sich auszudrücken, nur dadurch kommen, dass sie die linke Gehirnhälfte „manipuliert”.

Diese „Manipulation” sieht nun so aus, dass die rechte Hemisphäre die Bedeutung der Worte – wie wir sie vom Lexikon her kennen – verzerrt, so dass sie dem entsprechen was wir im Moment fühlen. Die rechte Gehirnhälfte drückt auf diese Weise, allem was wir sagen, einen Gefühlsstempel auf.

Das heißt, dass eine Aussage, die ein Individuum macht, unabhängig von ihrem logischen Sachverhalt, nahezu immer auch eine Gefühlsbotschaft enthält, die für das jeweilige Individuum charakteristisch ist. Um Gefühle auszudrücken verleihen wir den Wörtern eine tiefere Bedeutung; diese geht weit über das hinaus, was die Definition im Lexikon dafür anzubieten hat. Diese Wortbedeutung ist aber nur spezifisch für das Einzelindividuum, darum die Bezeichnung Eigensprache oder Idiolekt.

Die Definition der Eigensprache ist aber noch etwas weiter gefasst: Neben der sprachlichen Spezifität bezieht sie noch alle nonverbalen Elemente des Ausdrucks mit ein – Körperhaltung, Gestik und Mimik – diese sind, ebenso wie die Sprache, Ausdruck der individuellen Persönlichkeit eines Menschen.

Eigensprache ist spezifisch wie ein Fingerabdruck

Genauso wie ein Fingerabdruck ein individuelles Merkmal ist, ist die Persönlichkeit eines Menschen einzigartig. Darum färbt jeder seine Worte etwas anders ein, die dadurch eine ganz spezifische Bedeu- tung bekommen und so – versteckt – auch seine Gefühle zum Ausdruck bringen.

Macht z. B. an einem heißen Sommertag eine Person eine alltäglich klingende Bemerkung über das Wetter, schwingt in dieser Aussage immer auch eine Mitteilung mit, die sich auf seinen Seelenzustand beziehen lässt. „Die Hitze heute ist wieder unerträglich”, könnte so eine Aussage sein. Die Hitze an einem heißen Augusttag könnte man aber auch mit ganz anderen Bemerkungen charakterisieren. Man könnte zum Beispiel Freude darüber ausdrücken, dass „heute so eine herrlicher Sommertag ist” oder dass „bei der angenehmen Temperatur die Maß im Biergarten ganz besonders köstlich schmecken wird”. Als Negativum könnte man anführen, dass „einem heute die Hitze zu schaffen macht” oder ganz schwach negativ, dass man „heute den ganzen Tag über schon schwitzt” usw.

Vom Wetter zur Persönlichkeit

Wenn eine Person im Zusammenhang mit dem Wetter das Adjektiv „unerträglich” gebraucht, dann ist das erstens kein Zufall und zweitens ein Hinweis, dass die Person, außer dem Wetter, auch noch anderes in ihrem Leben als „unerträglich” empfinden wird.
Mit der Aussage über eine „unerträgliche Hitze”, die jemand verspürt, projiziert eine Person ein tief in sich verspürtes Gefühl von Schwäche und Hilflosigkeit auf das Wetter. Als weitere Hypothese könnte man im Kopf haben, dass die entsprechende Person möglicherweise sehr empfindsam ist und dadurch wenig belastbar, sodass ihr sehr schnell etwas unerträglich werden könnte.

Frühmenschen kannten keine Lasttiere; alles was sie zum Leben brauchten, mussten sie selber zu ihrer Behausung schleppen. Konnten sie etwas nicht mehr tragen, konnten sie es absetzen und sich eine Pause gönnen. Das Wort „tragen” bzw. „ertragen” hat heutzutage eine Ausweitung seiner Bedeutung erfahren: Es wird umgangssprachlich auch für das Tragen seelischer Lasten verwendet; in der Verneinung weißt es darauf hin, dass eine bestimmte Situation nicht mehr bewältigt werden kann.

Wenn jemand z.B. seinen Chef nicht mehr „ertragen” kann, dann muss er entweder kündigen oder er wird unter der Last früher oder später „zusammenbrechen”, d.h. er wird durch diese Belastung irgendein psychosomatisches Symptom entwickeln.

Würde man im psychosomatischen Interview die Aussage über die unerträgliche Hitze aufgreifen und würde man die Person fragen, was sie eigentlich mit dem Adjektiv unerträglich meint, würde sie mit der folgenden Erklärung Einblicke in ihre innere Welt eröffnen – ohne dass ihr dies so richtig bewusst werden würde.

Alltagsgeplauder hat psychotherapeutische Effekte

Ein Plausch hat eine wichtige Funktion

Ein kleiner Plausch hat eine
wichtige Funktion… ©mimagephotos/ fotolia.com

Treffen sich zwei Hausfrauen am Parkplatz eines Supermarktes und halten einen Plausch, enthält diese Plauderei Komponenten aus der Ursprache des Menschen. Ein Alltagsgeplauder über dies oder das ist höchst spontan in der Auswahl der Themen und folgt keinerlei logischer Struktur. Würde man die Sach- information analysieren, die dabei ausgetauscht wird, ergäbe sich ein ganz bescheidener Wert. Ein fünfzehn minütiges Gespräch würde ein Sprachwissenschaftler, in seinen Kern- aussagen, zusammen stutzen auf wenige Sätze.

Vom logischen Standpunkt aus betrachtet hat so ein Geplauder den Wert null – trotzdem erfreuen sich diese „Nichts sagenden” Plaudereien größter Beliebtheit. Da es keine Verhaltensweisen unter Lebewesen gibt die häufig auftreten und die keinen Sinn haben, muss auch diesen nichtigen Gesprächen eine tiefere Bedeutung inne wohnen. Und sie tut es auch! Die beiden Hausfrauen die vor der Eingangstür des Supermarktes so vertieft sind in ihre Unterhaltung über Frisuren, Kinder, Krankheiten, böse Nachbarn usw. drücken zwischen den Zeilen der gesprochenen Sätze Gefühle aus, die sie bewegen.

Deshalb kann bzw. geht so ein verbaler, zwischenmenschlicher Austausch weit über eine bloße Unterhaltung hinaus: Er kann seelische Prozesse in den Beteiligten anstoßen, die die Gefühlslage verändern – genau die Effekte die ein Psychotherapeut bei seiner Klientel erreichen möchte. Unter dem Blickwinkel eines sozialen Austausches, wie er für unsere menschliche Spezies charakteristisch ist, haben diese Alltagsgespräche deshalb eine immense Bedeutung für die seelische Gesundheit des Einzelnen; übergreifend fördern sie zudem den Zusammenhalt sozialer Gruppen – eine Funktion – die nicht hoch genug veranschlagt werden kann.

Alltagsgeplauder statt Fellpflege

Mantelpaviane bei der Fellpflege

Sie pflegen sich gegenseitig… ©gs1311/ fotolia.com

Die in sozialen Gruppen lebenden Primaten betreiben gegen- seitige Fellpflege, unter anderem aus hygienischen Gründen. Die allerwichtigste Funktion dieser Gemeinschaftsaktion ist aber nicht praktischer Art – sondern emotionaler. Die gegenseitigen Berührungen fördern und erhalten eine freundschaftliche Bin- dung zwischen Individuen, die sich nahe stehen. Die gemein- same Fellpflege, gesehen unter dem Aspekt eines sozialen Austausches, kann als der Kitt betrachtet werden, der nichthu- mane Primatensozietäten zusammenhält.

Mit der schrittweisen Reduzierung der Ganzkörperbehaarung bei den Frühmenschen entfiel diese Möglichkeit Sozialkontakte zu unterhalten. Die „Unterhaltung”, die ein Alltagsgeplauder bietet, übernahm mit der Zeit die Rolle der sozialen Fellpflege. Diese Ersatzfunktion war möglicherweise einer der evolutionären Aspekte, der für unsere Sprachentwicklung mitverantwortlich gewesen ist.

Alltagsgeplauder – Vorlage für therapeutische Ansätze

Von der Kenntnis der psychotherapeutischen Effekte ausgehend die ein Alltagsgespräch zustande bringt, wurde von Professor Jonas eine psychotherapeutische Methode ausgearbeitet, die sich bei der Behand- lung von psychosomatischen Erkrankungen als besonders hilfreich erwiesen hat – die ideolektische Gesprächsführung. Diese Form der psychologischen Gesprächsführung erscheint auf dem ersten Blick überraschend einfach, fast banal, weil sie – wie ein Alltagsgespräch – ohne komplizierte Erklärungen und Deutungen des Therapeuten auskommt.

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Therapiesitzung… ©Ambrophoto/ fotolia.com

Es gibt hier keine tiefenpsychologischen Konzepte, über die nur der Therapeut bescheid weiß und in die ein Patient erst eingeweiht werden muss, um Verständnis seiner selbst zu erlangen. Eine ideolektische Ge- sprächsführung kommt ohne jeglichen Fachjargon aus, weil die eigen- sprachlichen Gedankenmuster alle relevanten Informationen über den Patienten enthalten – sowohl auf der seelischen Ebene wie auch auf der vegetativen. Sie sind das psychodynamische Gold seines Unterbewusst- seins, das nur darauf wartet gehoben zu werden.

Der Therapeut versucht über die Eigensprache des Patienten eine gefühlsmäßige Verbindung herzustellen – was überraschend gut gelingt, wenn er die Sprache des Patienten spricht und versteht. Der Therapeut lässt sich durch die ideolektischen Aussagen seines Patienten leiten, um auf dieser Ebene – der Ebene der Gefühle – einen fruchtbaren Gedanken- austausch in Gang zu bringen.

Idiolektisch orientierte Therapeuten und Berater vermeiden es, Ausführungen von Patienten tiefenpsychologisch zu interpretieren. Diese Deutungen, oft noch überfrachtet mit den Wertvorstellungen des Therapeuten, wirken in den Augen der meisten evolutionär orientierten Berater lebensfremd. Diese artifiziell anmutenden Denkmodelle, vom Seelenleben eines Menschen, werden sich mit den tatsächlich ablaufenden Prozessen auf den kognitiv-emotional-vegetativen Ebenen allenfalls nur zufällig decken.

Psychosomatisch Kranke sind von Gefühlen abgeschnitten

Um im Verlauf eines Gespräches Aufschlüsse über die Gedanken- und Gefühlswelt eines psychosoma- tischen Patienten zu erlangen und über seine innerseelischen Verarbeitungsmechanismen, wird der Patient aufgefordert ein hervorstechendes Satzfragment oder ein Schlüsselwort, das den Therapeuten besonders aufgefallen ist, weil es etwas merkwürdig ins übrige Satzgefüge eingepasst war, näher zu beschreiben. Wenn der Patient dieser Bitte nachkommt, gibt er mit der Beschreibung so eines Schlüssel- wortes Einblicke in seine innerste Welt – ohne dass er sich dessen gewahr wird.

Für die psychodiagnostische Abklärung einer psychosomatischen Erkrankung bzw. für eine therapeutische Intervention ist diese Technik von immenser Wichtigkeit, weil psychosomatische Patienten sehr häufig von ihren Gefühlen abgeschirmt sind – ein Schutzmechanismus um allzu Schmerzliches von der Seele weg zuhalten.

Solche Patienten können sehr unzugänglich auf einen Behandler oder Therapeuten wirken, einfach deshalb, weil sie nicht im Stande sind über sich selbst zu sprechen – sie können es einfach nicht. Menschen mit einer psychosomatischen Erkrankung unterscheiden sich hierbei erheblich von Neurotikern, die sofort bereit sind – weitschweifig und ausführlich – ihre Gefühle darzulegen.

Psychosomatisch Erkrankte verfallen auf direkte Anfragen bezüglich ihres Gefühlslebens in lange Schwei- geintervalle, die peinlich auf alle Beteiligten wirken und eine gezwungene Stimmung verbreiten – da der Patient sich überfordert fühlt und unwohl – weil er die Anforderungen des Therapeuten nicht erfül- len kann.

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Von den Gefühlen abge-
schirmt… ©taisiya1985/ fotolia.com

Da seine Fantasie sehr stark blockiert ist und nicht arbeitet, hat er keinen Zugang zu seiner inneren Welt. Er ist ein Gefangener seiner selbst. Alexithymie ist die Fachbezeichnung für Menschen, denen es nicht gelingt, Gefühle in Worte zu fassen und die deswegen in tiefenpsychologisch orientierten Therapien große Schwierigkeiten haben, wenn es darum geht, durch freies Fantasieren unbewusste seelische Konzepte auszudrücken.

Da der psychosomatisch Leidende nicht zuletzt deshalb erkrankt ist, weil er seine Gefühle nicht zum Ausdruck bringen kann, wird ihm dieses Manko auch bei den konventionellen Psychotherapien oft zum Verhängnis, bei denen er eben gerade dies tun müsste – um zu gesunden.

Einer der Kerngedanken der ideolektischen Gesprächsführung ist die Vorstellung, dass alles was sich auf der seelischen und körperlichen Ebene eines Menschen abspielt, intuitiv von ihm als eine Art innerer Weisheit erfasst wird. Dieses Wissen, das in der Regel nicht direkt abrufbar ist, drückt sich in metaphorischen Beschreibungen aus, die, auch wenn sie karg und dürftig ausfallen – wie bei vielen psychosomatisch Erkrankten und Alexithymikern – , eine begehbare therapeutische Brücke bilden können, um mit dem Pa- tienten über seine Beschwernisse zu kommunizieren.

Patient stellt eigene Diagnose

Sehr schnell und einfach kann es gehen, über die Symptome einer psychosomatischen Erkrankung und deren Beschreibung durch den Patienten, an die Wurzel des seelischen Geschehnisses zu gelangen. Selbst psychosomatisch Erkrankte, die stark von ihren Gefühlen abgeschnitten sind, bringen es z.B. zustande, „die wahnsinnigen Kopfschmerzen“ zu beschreiben, die anfallsartig über sie kommen.

In der Beschreibung eines körperlichen Schmerzes – vor allem wenn er seelisch bedingt oder mitbedingt ist – beschreibt ein Patient auch seine Psychodynamik, die als Ursache dahinter steckt. Er stellt damit in gewisser Weise seine eigene Diagnose; natürlich nicht in medizinisch-psychologischen Termini, sondern verpackt in Bildern oder metaphorischen Beschreibungen.

Wenn sie, sehr verehrte Besucherinnen und Besucher, ein wenig auf meinen Psychosomatik Seiten gelesen haben, wird Ihnen das eine oder andere Interview aufgefallen sein, das diese Vorgehensweise beschreibt.

Patient schlägt eigene Therapie vor

Durch eine geschickte Fragestellung kann es ein Therapeut oder Berater schaffen, dass der Patient an Beispielen, die nicht ihn direkt in den Brennpunkt stellen, Überlegungen anstellt, die seine eigene Therapie betreffen.

Der Patient wird im weiteren therapeutischen Zwiegespräch Vorschläge machen – Weichenstellungen betreffend – um aus festgefahrenen krankmachenden Verhaltensschienen auszusteigen. Diese Vorschläge muss ein Patient selber einbringen – nur er kann es – weil alles was diesbezüglich von außen kommt, er mit einem „Ja aber …” beantworten würde, das selbst die allerbesten Vorschläge entwertet.

Die ideolektische Gesprächstherapie nach Jonas ist eine psychologische Methode, die eine indirekte nicht direktive Gesprächsstrategie favorisiert, bei der sich der Therapeut oder Berater als eine Art Katalysator begreift – der selber nicht direkt ins Geschehnis eingreift, aber durch seine Moderation eine Modulation der Gefühlswelt beim psychosomatischen Patienten in Gang setzen kann.

Obwohl der Ablauf dieser Gespräche – ich wiederhole mich – einfach und unkompliziert wirkt und deshalb auch so flüssig dahinplätschert – einem Alltagsgeplauder nicht unähnlich – sind die theoretischen Konzepte die dahinter stecken kompliziert und vielgestaltig; interdisziplinäres Wissen aus den Bereichen Biologie, Psychologie, evolutionärer Anthropologie, Neurologie und Soziologie, um nur die Wichtigsten zu nennen, bilden die Basis dieses multimodalen Unterfangens.

Mordswut im Bauch

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Mordswut… © lassedesignen/ fotolia.com

Um den interessierten Leser den Geist dieser Gesprächsführung zu demonstrieren, sei im Folgenden die etwas gekürzte protokollarische Aufzeichnung eines diagnos- tischen Interviews wiedergegeben.

Frau M. suchte die psychosomatische Sprechstunde auf, weil sie seit Jahren an starken Bauchbeschwerden litt, für die keine körperlichen Ursachen gefunden wer- den konnten.

 

Interviewer: Frau M. würden sie mir bitte in ganz einfachen Worten erzählen, was sie zu mir in die Sprechstunde geführt hat.

(Der Interviewer legt Wert auf den Terminus „in ganz einfachen Worten”, weil Frau M. mit dieser Aufforderung dazu gebracht werden soll, möglichst in einfachen, eigenen Worten ihre Krankheit zu schildern – um damit einen ersten Eindruck ihrer Psychodynamik zu liefern.)

Frau M.: Ja, ich bin heute bei ihnen, weil ich seit fast fünf Jahren unter starken Schmerzen im Bauchbereich leide, die bis in die Hüften hinein ausstrahlen. Die Ärzte können nichts finden – es soll bei mir alles in Ordnung sein. Ich habe schon Tabletten genommen – alle möglichen. Ich möchte gerne wissen, was eigentlich mit mir los ist. Können sie das vielleicht herausfinden.

(Frau M. drückt das Wort „Tabletten” mit abfälliger und abfallender Betonung aus, so dass der Interviewer annehmen kann, dass die Tabletten keine große Hilfe für sie waren.)

Interviewer: Haben die Tabletten ihnen eigentlich geholfen?

(Der Interviewer möchte mit dem Ansprechen der „Tabletten” der Verzweiflung und der Wut Raum geben, die wahrscheinlich dahinter stecken.)

Frau M.: Das ganze Tablettenfressen hat mir überhaupt nichts eingebracht. Gar nichts! Außer einer Gastritis wegen der vielen Antirheumatika.

(Die am Anfang freundlich und zurückhaltend wirkende Patientin zeigt deutlich unterdrückte Wut – wahrscheinlich nicht nur auf „die Tabletten”.)

Interviewer: Frau M. könnten sie bitte einmal versuchen, die Bauchschmerzen etwas näher zu beschreiben, sodass ich mir eine Vorstellung davon machen kann.

Frau M.: Ja, die Schmerzen sind ziehend, stechend, brennend und permanent. Also nicht so wie bei Krämpfen – da kommen die Schmerzen und vergehen wieder; bei mir sind sie aber dauernd da; immer halt.

Interviewer: Stellen sie sich einmal vor, dass diese Worte, die sie benutzt haben, ziehend, stechend und brennend mir unbekannt sind. Wie würden sie mir denn das Wort ziehend etwas näher beschreiben.

(Hier steigt der Interviewer in die Eigensprache des Patienten ein und versucht durch die Beschreibung des Verbums „ziehen” einen Schritt näher an die seelischen Auslöser dieser Schmerzustände zu gelangen.)

Frau M.: Ja, da ist etwas da, das an mir zieht oder in mir zieht. Da ist so eine Spannung in mir drin, die ich nicht auflösen kann und die irgendwie einfach nicht verschwindet.

(Mit dieser Beschreibung hat die Patientin bereits ihre eigene Diagnose gestellt. Die Spannung, die sich in ihr aufbaut und die die Schmerzen verursacht, ist sehr wahrscheinlich unterdrückte Wut, die sie schlucken muss und die sie aus irgendwelchen Gründen nicht los wird.)

Interviewer: Stellen sie sich einmal vor, dass ich so etwas hätte; das etwas da ist, das an mir zieht, das mich in Spannung versetzt. Was würden sie sich da vorstellen?

(Es ist eine Erleichterung für den Patienten oder Klienten, wenn der Berater oder Therapeut sich in das Bild mit einbringt, das er vom Patient angeboten bekommt; so kann der Patient alle Probleme auf den Therapeuten projizieren und „sich” dabei aus dem Spiel lassen.

Frau M.: Da stelle ich mir spontan jemanden vor, der an ihnen zieht.

Interviewer: Aber was tut der da eigentlich; wie fängt er es an, dass er an mir zieht.

Frau M.: Na ja, der packt sie vielleicht an ihrem Arm und reißt daran.

Interviewer: Warum sollte denn jemand so etwas tun?

Frau M.: Weil derjenige etwas von ihnen will.

Interviewer: Stellen sie sich einmal vor – die Person – die etwas von mir will, packt mich nicht am Arm, sondern sie benutzt nur den Mund dazu. Was würde die denn sagen?

(Mit dieser Darstellung konkretisiert der Interviewer das Bild, das die Patientin dargestellt hat, einen Schritt weiter)

Frau M.: Ja, also der will permanent etwas von ihnen; etwas das sie ihm einfach nicht geben wollen.

Interviewer: Ja, was veranlasst mich denn so herzlos zu sein, ihm etwas nicht geben zu wollen – das er anscheinend so dringend braucht?

Frau M.: Vielleicht ist das ja was ganz Ureigenes von ihnen, das er haben will. Etwas, das ihm einfach nichts angeht, weil es ihnen gehört. Verstehen sie das? (mit Nachdruck und starker Betonung ausgesprochen)

(Die Patientin ist jetzt ganz nahe an der Konfliktsituation, die sie so belastet und die ihr die Schmerzen beschert; die aggressive Stimmungslage, die sich bei ihr breit macht, ist ganz offensichtlich.

Interviewer: Frau M. wie sollte ich mich ihrer Meinung nach gegen so eine zudringliche Person verhalten.

Frau M.: Sie sollten ihr klar machen, dass sie das sein lassen soll.

Interviewer: Aber sie ist hartnäckig und gibt einfach nicht nach!

(Der Interviewer treibt die Konkretisierung der belastenden, zwischenmenschlichen Situation immer weiter voran; diese Konkretisierungen „engen” die Patientin immer mehr ein – so wie es wahrscheinlich in der Realität auch tatsächlich der Fall sein wird.)

Frau M.: Ja, dann müssen sie halt einfach weggehen von ihr.

Interviewer: Aber das kann ich leider nicht; ich kann nicht von ihr weggehen; irgendwie bin ich emotional abhängig von ihr.

Frau M.: Dann hilft nur noch lautes Schreien

Interviewer: Da ist auch ein Problem dabei Smilie ; ich bin nämlich eine sehr gut erzogene Person und mag es nicht gerne auf jemanden zu schimpfen und zu schreien.

Frau M.: (Frau M. blickt jetzt ganz traurig; sie schluckt ein, zwei Mal, dann holt sie tief Atem und seufzt; ihre persönliche Problematik ist ihr jetzt voll bewusst.)
Ja, da haben sie recht, das ist genau die Situation in der ich mich befinde. Eine Sackgasse! Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als alles runterzuschlucken.

Interviewer: Und dann?

Frau M.: Na ja, dann ist diese Wut in meinem Bauch und geht nicht mehr raus oder es kommt gleich wieder neue dazu. Das ist ja alles so hoffnungslos! Ich habe manchmal so eine Mordswut im Bauch, das können sie sich gar nicht vorstellen.

Mordswut stiftet Bauchschmerzen

Über die Beschreibung der körperlichen Symptomatik der Patientin mittels ihrer Eigensprache, ist der Interviewer auf die seelische Problematik gestoßen – die hinter der körperlichen steckt. Das Verbum ziehen stellte das eigensprachliche Schlüsselwort dar, das direkt zur Diagnose führte, die die Patientin selber stellte. Das Ganze dauerte nur wenige Minuten. Im späteren Verlauf des diagnostischen Interviews kam Frau M. dann auf das eigentliche Problem zu sprechen: Ihr Mann, seit neun Jahren an Multipler Sklerose erkrankt – einer unheilbaren Nervenerkrankung – ist das „Objekt”, das die Mordswut bei ihr auslöst.

Durch die Erkrankung praktisch hilflos geworden und daher auf Andere angewiesen, hat er sich – über die Jahre – mehr und mehr auf seine Frau gestützt und sich ihrer vollständig bemächtigt. Geschickt hat er ihr Mitleid ausgenutzt und sie dazu gebracht, dass sie praktisch den ganzen Tag um ihn herum ist. Vermutlich plagen ihn Ängste, dass sie ihn einmal verlassen könnte und so versucht er – mit aller Macht – sie an sich zu ketten. Krankenschwestern von Pflegediensten, die hin und wieder zur Entlastung der Ehefrau engagiert wurden, vergraulte er regelmäßig, so dass wieder alles an ihr hängen blieb. Anscheinend will er mit aller Macht verhindern, dass für sie noch ein anderes Leben existiert – eines, das nicht ausschließlich an der Seite eines kranken Mannes stattfindet.

Da sie praktisch all ihre Lebensenergie auf ihn konzentrierte bzw. konzentrieren musste – sie hatte kein eigenes Leben mehr – entwickelte sie eine Mordswut auf ihn, auf die ganze Situation und auf das Schicksal, das sie im Leben so hart hernimmt. Da sie nirgends ein Ventil hatte bzw. hat ihre Spannung loszuwerden, somatisierte sich die Wut als Funktionsstörung ihrer Eingeweide und verursachte diese starken Schmerzen.

Für die Interessierten unter Ihnen: Es gibt die Gesellschaft für Ideolektische Gesprächsführung in Würzburg, die sich dieser Methode von Prof. Jonas verschrieben hat.