Der Fötus im Uterus – evolutionäre Psychologie

Der Fötus manipuliert die werdende Mutter

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Föten sind kleine gierige
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Wie auf der vorhergehenden Seite dargelegt, existieren zwischen den Generationen Konflikte, die auf die genetische Unterschiedlichkeit von Eltern und Kindern zurückgehen. Diese Unterschiedlichkeit beträgt ½; sie existiert ab dem Zeitpunkt der Vereinigung von Samen– und Eizelle. Die entstehende Blastozyste wirkt auf den mütterlichen Organismus daher teilweise wie ein Fremdkörper, den er gerne wieder loswerden möchte.

Dreiviertel aller befruchteten Eizellen schaffen es deshalb nicht, sich für neun Monate einen Stammplatz in der Gebärmutter zu sichern. Viele Blastozysten scheitern schon an der Einnistung ins Endometrium. Andere, die diese Hürde genommen haben, werden als wachsende Föten vom Organismus der Mutter eliminiert und ausgestoßen. Oftmals merken Schwangere gar nichts von ihrer Schwangerschaft, weil die so schnell beendet ist, wie sie begonnen hat.

Spontane Abgänge in diesen frühen Phasen bzw. in den ersten drei Monaten, haben in der Regel mit chromosomalen Abnormitäten des Föten zu tun, die der mütterliche Organismus offenbar erkennen kann. Dies ist ein effektiver Schutzmechanismus der Mutter, der sie davor bewahrt, Investitionen in einen nicht lebensfähigen Nachwuchs zu tätigen. So kann sie ihre Ressourcen bündeln und später auf einen Fötus richten, bei dem sie besser aufgehoben sind.

Eltern-Kind-Konflikt schon im Mutterleib

Aufgrund dieser Tatsachen kann man sagen, dass der mütterliche Organismus nicht generell bereit ist – ohne Wenn und Aber – den Entwicklungsprozess eines Föten zu unterstützen. Wie ich ja im vorherge- henden Text dargelegt habe, existiert eine Rivalität zwischen mütterlichen und kindlichen Genen, die die Basis des Mutter–Kind–Konflikts darstellt. Die Theorie dazu hat Robert Trivers geliefert und der Biologe David Haig, von der Harvard Universität, hat diesen Konflikt auch als Rivalität zwischen Fötus und mütterlichen Organismus interpretiert.

Wie das geborene Kind auch, hat ein Fötus nur fünfzig Prozent seiner Gene mit der Mutter gemeinsam; die anderen fünfzig Prozent sind fremd – weil sie vom Vater abstammen. Die werdende Mutter ist sozusagen „gezwungen” diesen fremden Gensatz mit „über die Runden zu bringen”; und dies macht sie nur „widerwillig”. Der mütterliche Organismus errichtet deshalb große Hürden für die Blastozyste, was ihre Einnistung in die Gebärmutter anbelangt. Die Evolution hat deshalb Strategien für die befruchtete Eizelle entwickelt, die ihr helfen sollen, den mütterlichen Organismus auszutricksen – um die Einnistung zu erzwingen. Diese Strategien erinnern entfernt an utopische Science–Fiction–Märchen von außerirdischen Aliens, die menschliche Körper okkupieren, um sie zu willfährigen Marionetten zu machen.

Bei uns Menschen starten diese Szenarien zwischen dem 5. und 6. Tag nach der Befruchtung. Durch den Kontakt mit der Uterusschleimhaut bildet die Blastozyste Zellen aus, die ein eiweißartiges Hormon produzieren, das in den Blutkreislauf der Mutter einsickert…

Manipulation mütterlicher Hormonsysteme

Dieses Hormon, das humane Choriongonadotropin, manipuliert nun das mütterliche Endokrinum in einer Weise, die den Gelbkörper im Eierstock veranlasst, das Steroidhormon Progesteron zu bilden. Dieses Gelbkörperhormon hat zwei raffinierte Effekte: Einmal blockiert es bestimmte Hormonbildungsstätten in der Hypophyse des mütterlichen Gehirns – verantwortlich für diejenigen Botenstoffe, die den Eisprung auslösen. Neue Eisprünge finden deshalb nicht mehr statt und auch keine Menstruationsblutungen mehr – verantwortlich für die Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut. Zum Zweiten stimuliert das Hormon Progesteron sehr stark den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut, was für ein Wachstum des Föten unerlässlich ist. Dieses manipulative Vorgehen der Blastozyste erzwingt ihre Tolerierung durch den mütterlichen Organismus und ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Einnistung.

Das Choriongonadotropin–Hormon ist demnach eine Waffe des Föten – eine Waffe, die seine Abtreibung verhindern soll.

Fötus beutet mütterlichen Organismus aus

Nachdem der winzige, invasive Keim es geschafft hat, in der Gebärmutterschleimhaut seiner Mutter Fuß zu fassen, geht es richtig spannend weiter, weil er nun versucht – in schamloser Weise – ihre Ressourcen für sich zu mobilisieren. Mütterliche Organismen haben jedoch von Haus auf eine Tendenz zu Geiz und Sparsamkeit; sie wollen Ressourcen zurückhalten, um sie für einen späteren Nachwuchs zur Verfügung zu haben. Eine Mutter „will” einem werdenden Leben deshalb immer nur das zukommen lassen, was unbedingt nötig ist.
Einem Fötus mit seiner „egoistischen Einstellung” sind aber die zukünftigen Kinder seiner Mutter egal, weil er – biologisch gesehen – nur an seiner eigenen Entwicklung interessiert ist. Egoistisch wie er ist, wird er alles daransetzen seine Mutter auszubeuten, auch auf die Gefahr hin, sie dabei schwer zu schädigen oder in Lebensgefahr zu bringen.

Die rigorose Vorgehensweise die er dabei an den Tag legt, ist schon im frühen Stadium einer Schwanger- schaft erkennbar: Hochaggressive Zellen – aus fötaler Produktion stammend – schwärmen aus und zerfressen in der Nachbarschaft die Muskelschläuche mütterlicher Arterien. Keine Chance mehr zur Verengung, leiten sie – wie maximal geöffnete Schleusentore –, Frischblut in den nimmersatten Schlund.

Das Insulin aus der mütterlichen Bauchspeicheldrüse ist dem Fötus ein weiterer Dorn im Auge, fördert es doch die Aufnahme von Traubenzucker in die Muskulatur – etwas, das dem Gierhals ganz und gar nicht in den Kram passt. Im Laufe der Evolution haben sich deshalb Gene in ihm etabliert, die Faktoren erzeugen, die das mütterliche Insulin bei seiner Arbeit bremsen. Der Effekt ist ein Anstieg des Blutglucosespiegels, der dem Fötus die Möglichkeit eröffnet, sich in aller Ruhe bedienen zu können. Sind die mütterlichen Insulinreserven in der Bauchspeicheldrüse nicht besonders gut, schafft es der maßlose Nachwuchs, von der Gebärmutter aus, seiner Mama eine waschechte Diabeteserkrankung an den Hals zu hängen.

Sind werdende Mütter schon von Haus auf Diabetikerinnen, verschärfen die Machenschaften des Föten ihre Erkrankung – denn für einen Fötus ist der mütterliche Diabetes ein Segen. Föten „baden” dadurch regelrecht in Glucose und können ein Geburtsgewicht erreichen, das eine normale Entbindung sehr erschwert – weil es alle Grenzen sprengt.

Eklampsie bedeutet Lebensgefahr

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Aber der gefräßige kleine Kerl kann noch viel mehr. Neben dem Energieträger Traubenzucker benötigt ein Fötus für sein Wachstum vor allem eines: Eiweiße. Hat er den Eindruck, dass er unter einem Mangel daran leidet, sondert er Substanzen ab, die im mütterlichen Kreislauf den Blutdruck in die Höhe treiben – um ausreichend Futter ange- schwemmt zu bekommen. Übertreibt er sein Tun, entwickeln werdende Mütter Bluthochdruck – eine ganz besonders üble Nebenwirkung man- cher Schwangerschaften. Die Präeklampsie, so heißt der Fachaus- druck, geht immer mit Wassereinlagerungen im Gewebe einher und führt zu Eiweißausscheidungen im Urin, die Folgen einer Nierenschädigung sind.

Wenn die Situation sich zuspitzt, kann eine Eklampsie manifest werden – ein lebensbedrohliches Geschehnis für Mutter und Kind. Als Vorboten treten Kopfschmerzen, Blutdruckanstieg und Übelkeit auf. Die Krampfanfälle die sich später einstellen, machen ein intensivmedizinisches Eingreifen erforderlich und die sofortige Entbindung durch Kaiserschnitt.

Das Phänomen der geprägten Gene

Der Forscher David Haig machte noch einen anderen, höchst interessanten Interessenskonflikt ausfindig, der sich in einem Fötus abspielt und der ebenso Ausdruck einer besonderen Rivalität ist: Mütterliche und väterliche Gene wetteifern um die Macht über den wachsenden Embryo. Das biologische Prinzip das dahinter steckt, ist noch nicht allzu lange bekannt und stellt etwas die Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf, die man gängigerweise von der Vererbung hat.

Bei diesem Phänomen gibt es Gene, die sozusagen eine Prägung haben; je nachdem, ob sie vom Vater abstammen oder von der Mutter. Normalerweise enthält das Genom eines Fötus von allen Genen den doppelten Satz – einen von der Mutter und einen vom Vater. Ein Genpaar, Allel genannt, arbeitet im Normalfall zusammen und steuert gemeinschaftlich die Entwicklungsvorgänge im Fötus.

Diese ominösen „geprägten Gene” aber verhalten sich völlig anders als die gewöhnlichen: Je nachdem welches Gen eines Genpaares gerade aktiv ist, ist die Auswirkung auf den Körper des Föten eine andere. Einfach ausgedrückt besteht der Konflikt darin, dass diese speziellen Gene den Körper des Föten unterschiedlich groß werden lassen wollen. Die Wachstumsgene vom Vater möchten ihn größer werden lassen, als die Gene von der Mutter. Das evolutionsbiologische Prinzip, das dahinter steckt, gründet auf der Tatsache, dass der jetzige Vater möglicherweise nicht mehr der Vater des nächsten Kindes sein wird. Ergo ist es „im Interesse” der männlichen Gene, seinen Nachwuchs besonders groß und kräftig werden zu lassen – auf Kosten des mütterlichen Organismus –, damit er gute Überlebenschancen hat.

Die mütterlichen Gene wollen natürlich auch, dass der Nachwuchs überlebt, „denken“ aber zugleich auch an weitere Kinder, die diese Mutter zukünftig wird haben können und wollen dafür einiges an Ressourcen aufsparen. Dieses genetische Tauziehen im Innern eines Föten endet letztendlich – wie bei Konflikten im echten Leben auch – mit einem Kompromiss: Der Fötus wird nicht so groß wie der Vater das gerne hätte, aber deutlich größer wie es der Absicht der Mutter entspricht.