Vier Fortpflanzungsmodelle – evolutionäre Psychologie

In der Natur existieren vier Fortpflanzungsmodelle

Wie am Beispiel des jüdischen Kibbuz dargestellt, gilt für Frauen bei der Kinderbetreuung der „biologische Imperativ”, d.h. Frauen wollen ihre Säuglinge und Kleinkinder ständig in ihrer Nähe haben, um „Brutpflege” betreiben zu können. Die ideologische Weltanschauung der „Kibbuzler” hatte in den Anfangsjahren der Bewegung diesem tiefen Bedürfnis zu wenig Raum gegeben und dadurch eine weibliche Revolution ausgelöst, die sich gegen den männlichen Willen durchgesetzt hat.

Frauen und Männer waren in dieser wichtigen Frage offensichtlich unterschiedlicher Meinung, obwohl die ideologische Ausrichtung sicherlich identisch gewesen ist. Allgemein könnte man daher mutmaßen, dass Männer bzw. Väter das individuelle Engagement, das bei der Kinderfürsorge zu erbringen ist, etwas geringer einstufen als Frauen. Oder eleganter ausgedrückt: Väter lieben ihre Kinder weniger als Mütter.

Vier Fortpflanzungsmodelle

In der Natur sind grob gesagt vier Fortpflanzungsmodelle verwirklicht, wie Elterntiere zu ihrem Nachwuchs stehen können:

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Feuersalamander ©Jürgen Fälchle©/ fotolia.com

1) Tiere die keine Brutpflege leisten, also sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern, müssen für ihre Fortpflanzung lediglich sicherstellen, dass Spermien und Eier aufeinander treffen. Die Entwicklung des Embryos zum erwachsenen Tier erfolgt bei geeigneter Umgebung von selbst. Jungtiere sind bei diesen Arten vom ersten Tag an lebensfähig und brauchen daher keine elterliche Betreuung. Allerdings sind die Embryonen und später auch die Jungtiere ihrer Umgebung schutzlos ausgeliefert. Die Verlustrate ist deshalb entsprechend hoch und macht es nötig, dass die Weibchen sehr viele Eier produzieren und absetzen. Die „Kosten” dieser Fortpflanzungs- strategie sind wegen der großen Verluste nicht gerade gering. Dieses Fortpflanzungsmodell existiert bei vielen Wirbellosen, bei Fischen, bei den meisten Amphibien und vielen Reptilien.

Entenmutter mit Küken

Entenmutter mit Küken ©jtboldt/ fotolia.com

2) Die andere Fortpflanzungsvariante im Tierreich ist die Brutpflege durch das Muttertier, ohne Beteiligung des Erzeugers. Diese Variante hat den Vorteil, dass die Überlebensrate der Embryonen und der geborenen Jungtiere erheblich ansteigt, weil Schutz und Pflege durch das Muttertier die Verluste minimiert. Einerseits ist dieses Fortpflanzungsmodell viel „wirt- schaftlicher” als die Methode eins, andererseits aber auch aufwendiger, weil die Versorgung der Jungen und ihr Schutz einiges an Kosten verursacht, die das Muttertier zu tragen hat. Dieses Fortpflanzungsmodell ist in der Natur sehr weit verbreitet; es kommt in allen Tierklassen vor – bei Insekten genauso wie bei Säugetieren; bei letzteren ist die Brutpflege durch die Mutter allerdings obligatorisch.

Maulbrüter © hornyteks/ fotolia.com

3) Ein seltenes Fortpflanzungsmodell ist die Variante, bei der das Männchen alleine den Nachwuchs betreut und das Weibchen nur die Eier beisteuert. Meines Wissens existiert dieses Modell nur bei denjenigen Tierarten, die eine äußere Befruchtung haben, d.h. die Geschlechtsprodukte werden außerhalb des weiblichen Körpers in Kontakt zueinander gebracht. Das Fortpflanzungsmodell „brutpflegender Vater” ist bei einigen Fischarten verwirklicht, so bei unserem einheimischen Stichling. Die Theorie die dahinter steckt, hat den Gedanken, dass der, der den Nachwuchs als erster verlassen kann, dies tut.

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4) Beim vierten Fortpflanzungsmodell erfordert die Jungenaufzucht auch den Einsatz des Vaters. Dieses Modell ist in der Natur dann verwirklicht, wenn das Muttertier bei der Versorgung ihrer Jungen alleine nicht zurechtkommt, weil z. B. die Futtersuche mühsam und aufwendig ist und die Jungen dabei allzu lange schutzlos zurück bleiben müssten. Bei diesem Fortpflanzungsmodell investieren beide in ihren Nachwuchs, aber man kann eine gewisse Asymmetrie entdecken; eine kleine Unterschiedlichkeit zwischen den Geschlechtern: Die weibliche Seite unternimmt etwas größere Anstrengungen was die Brutpflege des Nachwuchses anbelangt. Dieses Fortpflanzungsmodell ist das anspruchsvollste und aufwändigste, das es im Tierreich gibt. Viele Tierarten favorisieren es; auch Fische sind darunter und sehr viele Vogelarten und natürlich wir, der Homo sapiens.

Weibchen schultern größeren Anteil

Bei allen vier Fortpflanzungssmodellen hat der weibliche Part an der Reproduktion den größeren Anteil. Auch beim Modell eins ist das so – weil die Produktion der dotterhaltigen Eier viel, viel aufwendiger ist als die Herstellung des Spermas; obwohl zahlenmäßig natürlich die Spermien überwiegen.
Diese biologischen Tatsachen haben eine eminente Bedeutung für das Verhalten der einzelnen Spezies, was ihre Geschlechterrollen anbelangt; und natürlich trifft das, was für die übrigen Tiere gilt, im weitesten Sinne auch auf uns Menschen zu. Auch wir Menschen haben in unserem Fortpflanzungsmodell diese Investitionsasymmetrie. Diese Asymmetrie ist mit einer der Gründe, warum Männer ihre Kinder weniger lieben als Frauen.

Bevor ich dieses interessante Thema aber noch weiter vertiefe, möchte ich Ihnen eine evolutionsbio- logische Theorie vorstellen die ein Erklärmodell für die Tatsache liefert, warum meistens – aber nicht immer – die Weibchen in der Natur die größeren Investitionen bei der Fortpflanzung erbringen.
Konflikte zwischen den Geschlechtern haben nicht selten diese biologische Asymmetrie als Basis – sie ist dafür verantwortlich, dass Männer und Frauen unterschiedliche Bedürfnislagen entwickeln, was ihre Beziehung zueinander betrifft.