Anfallsartiges Herzrasen – Die Online-Sprechstunde

Herzrasen und berufliche Überforderung

Gerhard fixiert das halbvolle Weinglas das vor ihm auf dem Tisch steht um sich abzulenken und zu konzentrieren. Es klappt aber nicht! Er findet einfach nicht in den Anfang seines autogenen Trainings hinein, gerade jetzt wo es so wichtig wäre. Den ganzen Tag schon fühlte er sich hektisch und nervös und dabei irgendwie saft- und kraftlos. Kein Wunder denkt er, bei der dauernden Arbeitsüberlastung.
Ständig hat er Fälle seines an Krebs erkrankten Kollegen mit zu übernehmen, wenn dieser wegen einer erneuten Chemotherapie wochenlang ausfällt. Verdammte Schei… denkt er, geht das denn ewig so weiter.

Häufig schleppt er am Wochenende Akten mit nach Hause um sie akribisch durchzufiseln. Familienleben – Fehlanzeige! Gerade vorhin hatte er deswegen eine hässliche Auseinandersetzung mit seiner Frau. Und jetzt muss er noch diesen blöden Vortrag hier halten, auf den er sich nicht mal richtig vorbereiten konnte – aber erst wenn die Stadtratsitzung vorbei ist und das kann noch dauern…

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Alles nicht einfach… ©Jochen Mittenzwey/ fotolia.com

Gerhard, Verkehrsrichter am hiesigen Amtsgericht, wurde vom Bürgermeister seiner Heimatgemeinde gebeten, über ein bestimmtes Thema zu referieren, bei dem er Experte ist. Und jetzt sitzt er und wartet und die reden und reden und er wird innerlich immer unruhiger und angespannter.

Kalter Schweiß steht plötzlich auf seiner Stirn und er fühlt einen Druck im Brustkorb und sein Herz – es rast immer schneller und schneller. Auf der Toilette taucht er sein Gesicht ins Wasser- becken – was ihm gut tut. Beim Umdrehen in Richtung Türe befällt ihn ein Schwächeanfall der ihn zwingt sich auf dem kleinen Hocker im Gang niederzu- lassen.

Der Wirt – der ihn so sitzen sieht – ruft sofort den Notarzt. Verdacht auf Herzinfarkt schreibt dieser auf das Einweisungsformular für die Klinik und ab geht’s mit Blaulicht. Gott sei Dank bestätigt sich die Diagnose Herzinfarkt nicht. Tachykarde Herzrhythmusstörung unbekannter Genese diagnostizieren die Spezialisten in der Klinik.

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…und der weiß auch nicht so
recht weiter… ©beerkoff/fotolia.com

Nachdem Gerhard eröffnet wird, dass kein Infarkt vorliegt, bessert sich sein Zustand schlagartig. Die Anwesenheit der Ärzte übt einen stark beruhigenden Einfluss auf ihn aus; auch wirkt der eingesetzte Beta- rezeptorenblocker vorschriftsmäßig – das Herzrasen verschwindet.

Eine umfangreiche kardiologische Diagnostik führt zu keinem greifbaren Ergeb- nis – Gerhards Herz ist organisch vollkommen gesund. Nach einigen Tagen wird er entlassen. Einerseits ist er natürlich froh – andererseits ist ihm mulmig die Sicherheit der Klinik zu verlassen.

Die Angst einen erneuten Anfall von Herzrasen erleben zu müssen, lässt ihn nicht los; ständig ertappt ihn seine Frau beim Pulsprüfen. Natürlich passiert es wieder; an einem Montagmorgen – in der überfüllten U-Bahn…

Teufelskreislauf hält Herzrasen am Leben

Patienten mit einer psychogenen Herzstörung haben es viel schwerer ihr Leiden zu verlieren, als ein an einem „nervösen” Magen Erkrankter. Das Herz – als zentraler Motor des Lebens – löst Angst und Panik aus, wenn es nicht mehr richtig funktioniert, weil jeder weiß, wie schnell es vorbei sein kann, wenn dieser Motor ausfällt.

Aber: Angst und Panik sind auch die emotionalen Ursachen, die ein Herz nicht richtig funktionieren lassen.

 

An dieser Stelle beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz: Weil ein Herz, das nicht richtig „funktioniert”, einem Angst und Bange werden lässt, bekommt man vor lauter Sorge um das Herz Herzrasen, das einem dann sehr ängstigt.

Notfallprogramm schaltet sich ein

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Das Herz passt sich an… ©Sergey Nivens/fotolia.com

Unser Körper kennt verschiedene Aktivitätszustände die mit entsprechenden Gefühlslagen verknüpft sind: In Ruhephasen und beim Schlaf sind die körperlichen Funktionen auf Erholung und Entspannung eingestellt. Die Herzfrequenz und der Blutdruck fallen auf die tiefsten Werte. Im entspannten Aktivzustand ist der Mensch körperlich fit und leistungsfähig; die Herz-Kreislauf-Funktion ist dem Verbrauch von Sauer- stoff und Energieträgern angepasst.

Starke körperliche Belastung hat einen hohen Sauerstoffverbrauch der Muskulatur zur Folge, mit der Konsequenz, dass sich die Atemfrequenz erhöht und Puls und Blutdruck ansteigen – um den Anforde- rungen gerecht zu werden. Gesteuert wird das Ganze durch verzwickte Regelkreisläufe, an denen die Nebennierenhormone beteiligt sind und das vegetative Nervensystem.

Kommt ein Mensch oder ein Tier in eine Situation, die als lebensbedrohlich empfunden wird, aktiviert der Körper ein Notfallprogramm, um für einen Kampf oder eine Flucht gerüstet zu sein.
Der ausgelöste Alarm erzeugt einen Sturm im Vegetativum – blitzartig wird der Körper in einen Aktivitätszustand versetzt, der dem einer Schwerarbeit gleicht.

Ideelle Bedrohung löst Herzrasen aus

Die Lebensweise in den westlichen Zivilisationen bringt uns aber höchst selten in derartige Bedrängnisse, dass Lebensgefahr besteht. Der moderne Mensch in heutigen Zeiten ist eher ideellen Bedrohungen ausgesetzt, die zwar sein Leben verschonen, aber sein Selbstwertgefühl und seine Selbstachtung stark beschädigen können – was als fast genauso schlimm empfunden wird. Psychosoziale Stresssituationen in dieser Richtung führen zu ähnlichen Veränderungen im Körper, wie Umstände die tatsächlich lebensge- fährlich sind. Das Unterbewusstsein schlägt Alarm und startet Abermillionen Jahre alte Anpassungen, wenn es ein Ereignis als gefährlich interpretiert – auch wenn keine direkte Gefahr für Leib und Leben dabei besteht.

Angst vor Job- und Statusverlust, ein verspekuliertes Vermögen an der Börse, eine zerbrochene Beziehung usw. – keine Lebensgefahr weit und breit – aber unser Körper reagiert, als ob wir uns in „Todesgefahr” befinden würden.

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Ein gewissenhafter Mann… ©el lobo/fotolia.com

Aber kommen wir wieder zurück zu unserem überforderten Richter am Amtsgericht: Gerhard, ein äußerst gewissenhafter Mensch, wie man es im Allgemeinen von einem Richter auch erwartet, kommt durch die Vielzahl der Fälle, die ihm seine Geschäftsstelle aufbrummt, an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit.

Da ist einerseits sein Chef, den er sich als äußerst belastbar empfehlen möchte – in der Hoffnung auf eine weitere Karriere. Andererseits macht sich unbewusst Angst in ihm breit, dass ihm Fehler unterlaufen, die Revisionsgründe abgeben könnten.

Ängstliche Angespanntheit und Unsicherheit, über einen längeren Zeitraum hinweg, aktivieren – zumindest teilweise – jene körperlichen Notfallprogramme, die die Natur für Lebewesen bereitstellt, deren Leben in Gefahr ist. Das anfallsartige Herzrasen ist demnach eine Anpassung des Herz-Kreislauf-Systems an Situationen, in denen ein Individuum in der Urzeit entweder kämpfen musste oder flüchten – um sein Leben zu retten.

Herzrasen und Persönlichkeit

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Ängstliche Persönlichkeit ©Wojciech Sobiech/ fotolia.com

Patienten die an somatoformen Störungen der Herztätigkeit leiden, haben gewöhnlich eine ängstlich pessimistische Grundhaltung, die die gesamte Persönlichkeit durchzieht und die auf eine Entwicklungsstörung in der Kindheit zurückzuführen ist. Man könnte davon sprechen, dass diese Personen sich in einem Zustand emotionaler Unreife befinden.

Oft ist es so, dass eine Person den plötzlichen Tod eines nahe stehenden Menschen erlebt hat. Sie identifiziert sich dann sehr stark mit dieser Begeben- heit, was zum Durchbruch eigener Todesängste führen kann. Wenn sie dann irgendetwas an sich entdeckt, das ihr einen kleinen Anlass zur Sorge gibt, werden übermäßig aufflackernden Ängste und eine hypochondrische Selbstbe- obachtung einen wichtigen Beitrag zur Krankheitsentstehung leisten.

Bei Gerhard – unserem Juristen – war es ein Nachbar, acht Jahre älter als er, der ins Gras gebissen hat. Von einer Sekunde zur anderen; in seinem Schrebergarten; beim Rasensprengen; unter den Augen seiner Frau; Herzinfarkt und aus. Diese Begebenheit hat Herbert stark bewegt und ihn an das Vergängliche erinnert und daran, wie schnell alles vorbei sein kann.