Brutpflegeverhalten – evolutionäre Psychologie

Wer den Nachwuchs verlassen kann tut es

Richard Dawkins

Richard Dawkins

Lebewesen sind – evolutionär betrachtet – egoistisch bzw. die Gene in diesen Lebewesen sind es. Der britische Evolutionsbiologe Richard Daw- kins hat in seinem Buch „Das egoistische Gen” überzeugende Beweise für diesen Sachverhalt geliefert. Gene können sich nur dann in einer Popu- lation vermehren bzw. erhalten, wenn sie Merkmale erzeugen, die für ihre Träger von Vorteil sind.

Einzelne Gene, die z. B. nur für andere Individuen einen Nutzen brächten, sind zum Aussterben verurteilt; ganz besonders dann, wenn durch sie den eigentlichen Besitzern Nachteile entstehen. (Das Bild ist bei Amazon veröffentlicht)

Deshalb ist altruistisches Verhalten, wie es im Tierreich immer wieder vorkommt – unter diesem Blickwin- kel –, gar nicht möglich. Altruistisches Verhalten bringt, oft schwer erkennbar, immer den Altruisten den größeren Vorteil, bzw. einem seiner Gene. Aus diesen Gründen tut in der Natur niemals ein Lebewesen einem anderen einen „einseitigen Gefallen”; auch einem Geschlechtspartner nicht. Die Erbanlagen konzi- pieren Verhaltensweisen immer so, dass ein Lebewesen selber davon den größten Nutzen hat. Vorteile – die sich ergeben – führen entweder zu einer Verbesserung der Überlebensfähigkeit des Individuums oder zu einer Steigerung seiner Fortpflanzungsrate.

Lebewesen entwickeln sich in Gegnerschaft zueinander

Diese egoistischen Bestrebungen führen alle Lebewesen – besonders bei der Reproduktion – zu verzwickten Interaktionsmustern, weil der Vorteil des einen, mit einem Nachteil für den anderen verknüpft sein kann. Diese Interferenzen bringen Mensch und Tier beständig in Konfliktsituationen.

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Löwin erstickt Gnu ©Photoza/ fotolia.com

Ganz offensichtlich ist diese differierende Interessenslage bei der interspezifischen Aggression – der „Beziehung” zwischen einem Räuber und seiner Beute:
Einen Muskelapparat zu besitzen, ist für eine Gazelle eine Lebensnotwendigkeit. Er verleiht ihr Mobilität, die notwendig ist, um in der Savanne Futterquellen und Wasserlöcher aufsuchen zu können. Ein Löwe aber hat mit dem Muskelapparat einer Gazelle – wie jeder weiß – etwas ganz anderes im Sinn: Löwen haben Gazellen zum Fressen gern.

Angesichts eines Löwen machen Gazellen sog. Prellsprünge. Sie demonstrieren damit ihre Fitness.

Mit übermütigen Sprüngen (Prellsprünge) provozieren Gazellen Löwen – und demonstrieren damit ihre Fitness… ©SSQ & JohanSwanepoel / fotolia.com

Hier herrscht ein typischer Interessenskonflikt, der die Kombattanten in ein evolutionäres Wettrüsten treibt: Die Gazellen verbessern laufend ihre Schnelligkeit und Sprungkraft – um den Löwen zu entgehen. Diese wiederum verfeinern ständig ihre Jagdtechnik – um nicht verhungern zu müssen.

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Schwieriger sind diese Interessenskonflikte zu identifizieren, wenn man Lebewesen ein und derselben Art vor sich hat, z. B. ein Paar, das gemeinsam Junge aufzieht.

Wie ich auf der vorigen Seite ausführlich dargelegt habe, sind die Männchen und die Weibchen eines Paares immer auch „biologische” Gegner füreinander, weil ihre genetische Ausstattung verschieden ist. Weibchen haben wegen ihrer „kostspieligen” Eier ein geringeres Reproduktionspotential als Männchen, die ihr Sperma „billiger” herstellen können und deshalb viele Weibchen befruchten könnten. Männchen sind deshalb von Haus auf polygamer als Weibchen.

Dieses biologische Konfliktpotential muss ein Tier– oder ein Menschenpaar erst einmal unter einen gemeinsamen Hut bringen – um sich erfolgreich fortpflanzen zu können. Dabei sind die Partner gezwun- gen aufeinander Rücksicht zu nehmen – weil sie sich gegenseitig brauchen. Von außen betrachtet hat man den Eindruck, dass so ein Paar eine Symbiose eingegangen ist und harmonisch und friedlich zusammenarbeitet. Aber das scheint nur so: Unter der Oberfläche, unter dem Deckel gehalten, arbeiten die biologischen Rivalitäten weiter und sorgen für Zündstoff.

Wer weglaufen kann tut es

Eine dieser Rivalitäten geht von der egoistischen Annahme aus, dass der Partner, der nach erfolgreicher Befruchtung den anderen verlassen könnte, dies auch tun sollte. Dieses schlummernde Potential könnte dazu beigetragen haben, dass der, der theoretisch verlassen könnte, weniger Bindung und Zuneigung zu seinem Nachwuchs entwickelt – da eine starke Bindung seinem „Weglaufen” im Wege stünde. Auf den Menschen übertragen würde das heißen, dass dieser Verantwortungslose nur der Mann sein kann; nur er könnte diese biologische Disposition in sich tragen.

Wie soll man sich das Ganze nun vorstellen? Der springende Punkt bei dieser Hypothese ist die Art der Befruchtung des Weibchens. Wird das Ei eines Weibchens innerhalb ihres Körpers befruchtet, hat dieses nach vollbrachter Tat den Schwarzen Peter in der Tasche, weil das Männchen sich vom Acker machen könnte und dem Weibchen dann alles Kommende aufgebürdet wäre.

Das Weibchen müsste die Schwangerschaft austragen bis zum Schluss und könnte sich erst danach überlegen, ob es sinnvoll sein könnte, auch seinen Nachwuchs zu verlassen – um sich Arbeit zu ersparen. Sollte es dies tun, hätten auch die Gene des verantwortungslosen Männchens verspielt; keiner von beiden hätte einen Vorteil aus dem Ganzen gezogen. Im Gegenteil: Der lieblose Vater und die lieblose Mutter wären zum Aussterben verdammt, weil ihre „lieblosen Gene” es ihnen nicht ermöglichen würden Nachkommenschaft zu produzieren.

Da das Weibchen aber im Vorfeld schon erhebliche Investitionen getätigt hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es bei der Stange bleibt und versuchen wird, ihren Nachwuchs alleine durchzubringen. Ein Weibchen hat in dieser Situation – biologisch betrachtet – viel mehr zu verlieren als ein treuloses Männchen. Die Hypothese des Verlassen–Könnens würde vorhersagen, dass Weibchen, ganz allgemein, ein stärkeres Brutpflegeverhalten entwickeln als ihre Männchen.

Zwergbuntbarsch

Zwergbuntbarsch ©hornyteks/ fotolia.com

Diese Hypothese wird gestützt durch Beobachtungen aus dem Tierreich – bei Fortpflanzungssystemen – in denen die Männchen mehr Engagement für den Nachwuchs zeigen als die Weibchen. Oder salopp formuliert: Wo die Weibchen es geschafft haben, den Männchen den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Bei manchen Fischen z. B. gibt es das; Fische, wenn sie nicht lebend- gebärend sind, haben nämlich eine äußere Befruchtung:

So ein Pärchen säubert erst einmal gemeinsam einen Laichplatz und dann legt das Weibchen dorthin ihre Eier ab und erst danach kommt es zur Befruchtung. Wenn die Weibchen nun auf den Trich- ter kommen, nach der Eiablage zu verschwinden, ist er es, der alleine zurückbleibt und schauen muss, wie er mit der Situation zu Recht kommt. Diese Fortpflanzungsmodelle haben sich tatsächlich etabliert: Es gibt einige Fischarten, wo er die Brutpflege ganz alleine bewältigen muss, weil die Weibchen es sich „angewöhnt” haben zu verschwinden – um sich Arbeit zu ersparen.

Er vergnügt sich lieber woanders

Und noch eine Vorstellung existiert in den Köpfen der Evolutionspsychologen, warum ein Mann bzw. ein Männchen sich nicht übermäßig bei seiner Nachkommenschaft engagiert: Ihm gehen dadurch Chancen durch die Lappen noch anderswo seine Gene deponieren zu können. Männchen haben, wie oben schon erwähnt, ein „riesiges” Vermehrungspotential; dies trifft auch auf die menschlichen zu. Während seine Angetraute ihre Schwangerschaft austrägt, könnte er fleißig weiter versuchen, mit anderen Damen seine Gene zu vermehren. Wenn er bereitwillige Partnerinnen finden würde, könnten sich seine Erbanlagen munter weiterverbreiten, was seinem „Seitensprung–Gen” eine weite Streuung garantieren würde.

Obwohl menschliche Weibchen in evolutionärer Vergangenheit einen Versorger brauchten, hat es auch in der Urzeit immer wieder Frauen gegeben, die es alleine schafften. Diese brachten ihre Kinder ohne männlichen Beistand groß und mit ihnen jene Gene, die es auch ihren Söhnen später so schwer machten, einer Einzigen treu zu bleiben.