Die rheumatoide Arthritis – Online-Psychosomatik

Eine rheumatoide Arthritis hat einen autoaggressiven Hintergrund

Patient – das Wort leitet sich von Geduld ab – der Geduldige sozusagen. Aber wer von den Kranken – die leiden – hat schon Geduld?

Ein harmloser Schnupfen, mit laufender Nase und Kopfweh, bringt uns manchmal regelrecht zur „Verzweiflung” – von Geduld-Haben keine Spur. Es gibt aber eine Patientengruppe, die das Prädikat „geduldig” ausnahmslos verdient: die Arthritiker! Genauer gesagt jene bedauernswerten Personen die an einer rheumatoiden Arthritis leiden – auch bekannt unter der Bezeichnung primär chronische Polyarthritis.

Dem Arzt Ludwig Lichtwitz ist im Jahre 1913 eine treffende Beschreibung der Persönlichkeit des Arthritikers gelungen. Da dieser Text in der Zwischenzeit einige Berühmtheit erlangt hat und auch in der psychosomatischen Fachliteratur immer wieder auftaucht, möchte ich ihn dem Leser nicht vorenthalten:

„Die Frauen in späteren Stadien der deformierenden Arthritis gleichen sich in ihrem Wesen. Es gibt keine freundlicheren und geduldigeren Patienten als diese. Sie klagen nicht, sie machen keine Vorwürfe, wenn nichts hilft. Ich habe immer den Eindruck, als ob sie im Sinn hätten, den Doktor zu trösten und um Verzeihung zu bitten, dass alle seine Bemühungen erfolglos sind. Sie verlieren nie das Vertrauen, grüßen jeden Morgen mit demselben stillen Lächeln und scheinen glückliche Menschen zu sein, wenn der Doktor die Handarbeiten bewundert, die sie mit ihren armen Händen vollbringen. Auf die Gefahr hin, den Nimbus und die Verehrung zu verletzen, die der Güte, der stillen Freundlichkeit und dem Dulden gebührt, müssen wir feststellen, dass die rührende Haltung dieser Kranken aus einer Störung der Affektivität kommt, aus einer Leere und Starrheit, die einen Teil des krankhaften Geschehens darstellt.”

Rheumatoide Arthritis verläuft in Schüben

Ein Laie kann wahrscheinlich unmöglich glauben, dass ein derart schweres Krankheitsgeschehen, mit sichtbaren Verwüstungen und Verkrüppelungen, eine psychosomatische Krankheit sein soll. Ein Migräne-Anfall mit seinem dramatischen Drumherum – ja, jeder kann sich vorstellen, dass da irgendwelche Gefühle sein könnten, die das alles machen – aber bei einer rheumatoiden Arthritis?

Eine rheumatoide Arthritis hat einen eher unscheinbaren schleichenden Beginn, der sich bevorzugt an den Fingergelenken manifestiert, die für die erste Zeit – als schwaches Symptom – nur eine gewisse Morgenstei- figkeit aufweisen. Im späteren Verlauf kommt es zu Schwellungen an den Gelenken und zu Schmerzen. Typisch ist eine teigige Anschwellung der Fingergrundgelenke. Im Verlauf einer rheumatoiden Arthritis kommt es durch die entzündlichen Prozesse zu Verwüstungen in den Gelenken, mit Umstrukturierung und Versteifung, sowie zu Substanzverlusten gelenknaher Knochen und zum Schwund von Fingermuskulatur. Nach und nach können sämtliche Gelenke in den Entzündungs- und Deformationsprozess miteinbezogen werden.

Die rheumatoide Arthritis hat einen chronischen und schubweisen Verlauf, der sich über Jahrzehnte hinziehen kann und der nicht selten in eine völlige Invalidität des Patienten mündet. Die Krankheit kann schnell und rasch fortschreiten oder langsam und mit langen Phasen der Remission einhergehen; jederzeit kann es passieren, dass der unheilvolle Prozess spontan zum Stillstand kommt.
Die Analyse immunologischer Parameter im Blut liefert Hinweise darauf, dass es sich bei der rheumatoiden Arthritis um eine Autoimmunstörung handelt, wie sie auch einer Multiplen Sklerose zugrunde liegt.

Komplizierte Mechanismen

Struktur eines Antikörpers

Antikörpers sind Schuld… ©petarg/fotolia.com

Das Wesen einer Autoimmunkrankheit beruht auf der Tatsache, dass das körpereigene Immunsystem des Menschen aggressive Eiweiße oder Blutzellen bildet, die Gewebepartikel des eigenen Körpers angreifen. In anderen Worten: Der Organismus eines Menschen führt Krieg gegen sich selber. Bei einer MS treten im Blut Immunglobuline auf, die sich gegen die Markscheiden der Nervenzellen richten. Diese Immunglobuline sind Antikörper, die wie ein Schlüssel-Schloss-System auf ein Gegen- stück passen – irgendeine Eiweißstruktur – leider zum eigenen Körper gehörig. Wie gesagt bei einer MS gehören die Zielzellen des verrückt gewordenen Immunsystems zum Nervengewebe; bei einer rheuma- toiden Arthritis reitet das körpereigene Abwehrsystem Attacken gegen Strukturen in den Gelenken.

Diese Antikörper sind wahre Wunderwerke in ihrer Molekülstruktur: Gefaltet und verdreht, mit Seitenket- ten und Verästelungen, bilden sie dreidimensionale Gebilde hoher Komplexität. Ihre Bindungsstelle passt aufs Jota auf sein Gegenstück im Zielgebiet. Das strömende Blut lässt sie, über kurz oder lang, auf ihre Rezeptorstrukturen im Gewebe treffen; die Kupplung rastet ein und das Immunglobulin hängt fest, wie an einem Haken und bildet mit seinem Gegenstück den Antigen-Antikörper-Komplex.

Gewebezellen – Mastzellen genannt – werden durch diese komische Komplexverbindung angelockt und geben Histamin ab, das einen Entzündungsprozess entfacht, der es in sich hat. Das „entzündliche Feuer” zerstört alles, was sich im Umkreis des Antigen-Antikörper-Komplexes befindet – ihn selbst natürlich auch. Wäre die Zielstruktur so einer immunologischen Attacke das Oberflächenprotein eines Grippevirus – welch einen Segen würde dieser Zerstörungsvorgang für den erkrankten Körper bedeuten.

Warum bei manchen Menschen im strömenden Blut Faktoren auftreten die sich gegen den eigenen Körper richten, ist bis heute noch nicht befriedigend verstanden. Es sprechen aber gravierende Befunde dafür, dass diese Autoimmun-Geschehnisse in irgendeiner Form eine Verbindung zur seelischen Verfassung eines Individuums haben könnten. Eine neue Forschungsrichtung ist vor einigen Jahren entstanden, die sich zum Ziel gesetzt hat, diese Zusammenhänge aufzudecken – die Psychoneuroimmunologie.

In der Rheuma-Klinik

Sonja sitzt im Park der Rheumaklinik und genießt die letzten Sonnen- strahlen des zur Neige gehenden Tages. Ihr linkes Knie macht ihr zurzeit die größten Sorgen; sie muss es beim Sitzen in eine bestimmte Stellung bringen, sonst ist der Schmerz fast unerträglich. Gott sei Dank hat es nur das linke so brutal erwischt – rechts ist gar nichts. „Kommt vielleicht noch”, denkt sie, denn eine rheumatoide Arthritis folgt einem gewissen „Symmetriegesetz” beim Befall der Gelenke.

Es ist etwas kühl geworden und so zieht sie die mitgebrachte Woll- decke bis oben hin. Die Sonne blendet sie etwas, als sie nachdenklich ihre Hände betrachtet. Die Fingergrundgelenke sind teigig aufge- schwollen und spannen bei jeder Bewegung. Der kleine Finger rechts wird so komisch nach außen gezogen; den hat es am schlimmsten erwischt, denkt Sonja. Ringe kann sie schon lange nicht mehr tragen. Na ja – macht nichts! Ihren Ehering trauert sie am wenigsten hinterher. Ist ja alles egal! Aber ihre Hände? Noch kann man eine schöne Form erahnen, noch ist nicht alles kaputt und verkrüppelt – aber wie lange noch?

Seit einem dreiviertel Jahr hat Sonja rheumatoide Arthritis – die schlagartig und stürmisch einsetzte. Dies ist eher ungewöhnlich und ein prognostisch ungünstiges Zeichen. Die modernen Medikament federten den heftigen Schub zwar etwas ab – eine Remission aber konnten sie noch nicht erzielen; und in der Klinik – trotz der Medikamente – hatte am fünften Tag das linke Knie angefangen. Die Ärzte sind nicht von überwältigendem Optimismus – Sonja auch nicht.

Die Rheuma-Klinik im Schwarzwald hat eine psychosomatische Abteilung – mit einer netten Oberärztin. Sonja scheint so was wie ihre Lieblingspatientin geworden zu sein; jedenfalls meint Sonja das. Ihre Therapiestunde bei Frau Dr. L. ist ihr deshalb heilig. Zum ersten Mal überhaupt hat sie es fertig gebracht über ihre Ehe zu sprechen; über Karl-Heinz und wie es weiter gehen könnte. Es tut ihr gut mit ihr zu reden; geht viel einfacher als sie dachte und belastet sie auch nicht weiter. Vielleicht gibt es bei ihrer Krankheit ja doch noch einen Durchbruch; vier Wochen Zeit sind ja noch…

Sonja fühlt jetzt ihre Finger ab. Der linke Mittelfinger gibt ein Knirschen im Grundgelenk, als sie ihn gegen den Widerstand der starken Schwellung bewegt. Ist da schon das Gelenk kaputt?

So ein frecher Kerl

„Das schaut ja gar nicht gut aus – ob das noch mal was wird”, mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht lässt sich ein sportlicher Typ mit Halskrause auf dem Stuhl neben ihr nieder. „Motorradunfall und Schleudertrauma” ist die knappe Erklärung für seine Existenz, eineinhalb Meter neben Sonja. Mark, wie er heißt, hat scheinbar vor überhaupt nichts Respekt; mit flapsigen Worten erklärt er, wie es gekommen ist, dass er überhaupt noch am Leben ist…

Dann nimmt er sich seinen behandelnden Arzt vor und einen Krankenpfleger, den er besonders in sein Herz geschlossen hat. Mark macht sich über alles und jeden lustig – mit einer ironischen Treffsicherheit – die richtig unheimlich ist.

Sonja ist von ihrem Wesen her da gänzlich anders: Der Kopfmensch in ihr plant viel und überlegt und steht spontanen Sachen eher skeptisch gegenüber. Sonja möchte gern die Kontrolle haben und behalten – am liebsten bei allen Gelegenheiten. Diese Einstellung, die schon seit ihrer Kindheit in ihr steckt, lässt sie manchmal etwas starr und steif wirken, weil sie ihre Gefühle so gut kontrollieren kann. Unwillkürliche Gesten und Gebärden finden selten einen Ausdruck, da ihre Selbstbeherrschung – durch eisernes Training – an die Selbstdisziplin eines preußischen Generals heranreicht.

Liebe und rheumatoide Arthritis

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Sonja ist baff ©jaroszys/fotolia.com

Mark erkennt das intuitiv und reißt seine Witze – auch über ihre Gehemmtheit –, aber so gekonnt humorvoll und erfrischend, dass Sonja aus dem Lachen nicht mehr raus kommt; so einen verrückten Typen hat sie noch nicht kennen gelernt und so amüsiert, wie in den letzten fünfzehn Minuten, hat sie sich schon lange nicht.

Ohne bewusst nachzudenken erkennt Mark, mit seinem unge- wöhnlichem Gespür für tiefere Zusammenhänge, dass zwischen Sonjas steif-korrekter Art und der langsamen Versteifung ihrer Finger irgend ein Zusammenhang besteht. In den Therapiesitzungen bei Frau Dr. L. ist das schon sooft Thema gewesen; die Oberärztin ist da manchmal richtig darauf herumgeritten – allerdings ohne sie dabei tiefer zu berühren.

Bei Mark ist das ganz anders; da Sonja im Grunde ein fröhlicher Mensch ist und trotz ihrer ernsten und kontrollierten Art gerne lacht, kann sie auch über sich selber lachen, wenn es jemand versteht, ihr ihre Macken so gekonnt aufs Butterbrot zu schmieren – wie ihr neuer Bekannter das schafft. Mark gelingt es mühelos – was der Oberärztin nie gelang: Mit seinen dummen Sprüchen und seinen hahnebüchernen Metaphern berührt er in Sonjas Seele genau den Punkt, wo Gefühle und Gedanken im Körper einen Widerhall erzeugen.

Da Mark seine Rheuma-Bekanntschaft umwerfend findet – Sonja ist tatsächlich eine äußerst attraktive Dame – wuchs er über sich selbst hinaus, sie zu amüsieren und zu unterhalten. Bald wurden die beiden unzertrennlich und verbrachten jede freie Minute zusammen. Nach einer Woche war es Sonja möglich einen eineinhalbstündigen Spaziergang in den Grünanlagen zu machen, ohne dass sie ihr linkes Knie groß spürte – und sie hatte sich verliebt! Ihre katastrophale Ehe-Situation war ihr entrückt bis zum Mond. Die beiden Buben wusste sie gut versorgt bei ihrer Mutter. Sonja fühlte sich frei und unbeschwert – wie das junge Mädchen – das sie einstmals gewesen ist.

Chefarzt ist begeistert

Der Chefarzt der renommierten Klinik – Professor Dr. H – ist begeistert wie gut seine Patientin, zu guter letzt, doch noch auf die Therapie mit der raffiniert ausgeklügelten Medikation angesprochen hat. Stolz präsentiert er Röntgenaufnahmen von Sonjas Händen, die praktisch ohne Befund sind. Ihr kleiner Finger an der rechten Hand steht allerdings immer noch etwas leicht nach außen; ein kleiner Schönheitsfehler, den man bei Gelegenheit beseitigen könnte, meint der Chef euphorisch. Allerdings kann, und das weiß Sonja auch, so eine Remission, also die Phase, in der eine Krankheit eine Pause macht, auch wieder vorüber gehen. Er empfiehlt ihr dringend das eine Präparat, ein ganz modernes, zur Modulation ihres Immunsystems, weitere Wochen einzunehmen.

Sonja sitzt nun in der Bahn – den Kopf voller Gedanken an Mark und an ihr neues Leben – das sie jetzt unbedingt in Angriff nehmen will. Der Aufenthalt in der Klinik und die unbeschwerte Zeit ihrer Liebelei haben ihr eine tiefgehende Erkenntnis eingebracht; eine Erkenntnis, der nun unbedingt Konsequenzen folgen müssen, sonst wird, und das spürt Sonja ganz genau, die verkrüppelnde Krankheit wieder nach ihr greifen…

Psyche des Rheuma-Kranken

Die Beobachtung die Lichtwitz 1913 an Arthritikern machte, konnten viele Ärzte seither bestätigen: An rheumatoider Arthritis leidende Menschen sind außerordentlich angenehme Patienten; wenn sie in einer Klinik sind, sind sie bei Ärzten und Krankenschwestern gleichermaßen beliebt – wegen ihrer geduldigen und kooperativen Art. Diese charakterologische Eigenart des Rheumakranken hat zum Einen sicher mit der Natur ihrer chronischen Erkrankung zu tun, d.h. der lang sich hinziehende Krankheitsprozess hat seine Auswirkungen auf die Psyche des Kranken; er führt zu einem sich Fügen ins scheinbar Unabänderliche – zu einer Akzeptanz der Tatsachen und zu einem Annehmen der Krankheit.

Aber – man könnte auch anders argumentieren und sagen: Die Chronizität eines Leidens wird kaum zu einer völligen Veränderung der Persönlichkeit eines Kranken führen – allenfalls zu einer Modifizierung vorher schon angelegter Persönlichkeitsmuster. Eine schwere Krankheit haben, Leid und Schmerz ertragen müssen – macht jeden traurig, verzweifelt und aggressiv.

Arthritikern scheinen diese Gefühlsregungen – im weitesten Sinne – eher fremd zu sein. Sie jammern und klagen nicht über ihr schweres Schicksal, weil ein Jammern und Klagen sowieso nichts nützen würde; und warum sollten Menschen denn etwas tun das sinnlos ist?

Gruppentiere übertreiben Schmerz

Wenn ein Schimpanse sich verletzt, sagen wir er spießt sich einen Dorn in die Haut, an einer Stelle die ihm selber nicht zugänglich ist, mobilisiert er seine Artgenossen. Er tut dies auf eine Art und Weise, die sein Anliegen unmissverständlich zum Ausdruck bringt: Mit Schmerz verzerrtem Gesicht nähert er sich humpelnd und wehklagend, die Augen demütig niedergeschlagen, seiner Gruppe.
Ein menschlicher Beobachter würde sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass die Dramatik, die dabei zum Ausdruck kommt, reichlich übertrieben anmutet. Das mag stimmen! Aber der verletzte Schimpanse verhält sich nach einem genetisch eingebetteten Programm, das ihn so handeln lässt – auch wenn es nur ein kleiner Dorn ist.

Starke Gefühlsäußerung eines Schimpansen (Angstgrinsen)

Der ist hoch emotional (Angstgrinsen)… ©Aaron Amat/fotolia.com

Gefühle auszudrücken ist für die in sozialen Gruppen lebenden Primaten von fundamentaler Bedeutung.
Während der gesamten Primatenevolution „legte die Natur” allergrößten Wert darauf, diese Signale klar und differenziert zu entwickeln. Ohne einander zu zeigen, was mit ihnen „los ist” oder was bei ihnen nicht stimmt bzw. was sie verstimmt, könnten sich die Gruppenmitglieder untereinander nicht abstimmen und als Einheit in Erscheinung treten. Gefühlsregungen werden bei ihnen deshalb – eins zu eins – in körper- liche Signale umgewandelt; ein minimal veränderter Augenausdruck, eine leicht hochgezogene Schulter, ein tieferes Schnaufen – Primaten können in ihrem Gegenüber lesen wie in einem offenen Buch.

Mensch lernt sich kontrollieren

Auch wir Menschen, die höchstentwickelten Primaten auf Erden, haben diese starken Bedürfnisse des Ausdrücken-Wollens von Emotionen noch – in Worten, mit präverbalen Lauten, sowie durch Gestik und Mimik. Andererseits hat unsere Ratio – unser Verstand – die Fähigkeit, eigenes Verhalten zu beobachten und kritisch zu beleuchten, besonders auch was gefühlsmäßige Äußerungen anbelangt. Wachsen Kinder in Ursprungsfamilien auf, die dem Ausdrücken von Gefühlen keine große Bedeutung beimessen oder – noch schlimmer – die ihnen negativ gegenüberstehen, lernen Kinder, dass Emotionen etwas Gefährliches sein können und nur Nachteile haben.

Mit fortschreitender kognitiver Entwicklung erlangen sie die Fertigkeit, Gefühlsäußerungen und Gefühls- ausbrüche – die ihnen unerwünscht erscheinen – unter Hemmung zu setzen, um sich Enttäuschung und Schmerz zu ersparen. Die Gefühle die hinter diesen verbalen oder körperlichen Manifestationen stecken, können sich in ihrem Reichtum aber nur dann erhalten, wenn es für sie möglich ist, sich auch auszudrücken; wenn nicht, kommt es zur Verkümmerung und Versandung der Gefühlswelt – die man in etwa so erklären kann:

Menschliche Gefühle entstehen – wie bei anderen Säugetieren auch – im limbischen System des Mittelhirns; sie werden dort konsolidiert und in der rechten Großhirnhälfte „verarbeitet” – dort fühlen wir dann das Gefühl. Werden Gefühle regelmäßig an ihrem Ausdruck gehindert, kommt das praktisch einem Abtrainieren gleich; einer partiellen Blockade der rechten Hemisphäre. Gehemmt in ihrer Entfaltung – verbal und körperlich – verkümmern schließlich die entsprechenden Schaltkreise und verlieren an Komplexität. Aber der Gefühlsgenerator im limbischen System steht nicht still. Er „produziert” weiterhin spontan Emotionen, die sich auch auf den Körper auswirken, aber vom Individuum nicht mehr als Gefühle wahrgenommen werden.

So kann z. B. jemand durch jahrelanges „Training” das Gefühl der Furcht in gewissen Situationen weitge- hend verloren haben; tatsächlich besitzt er es aber auf der limbischen Ebene noch und es kann sich als anfallsartiges Herzrasen manifestieren, für das er keinerlei Grund „verspürt” und dass ihn dann zwingt, einen Arzt aufzusuchen.

Personen mit intakter Wahrnehmung ihrer Innenwelt würden die Furcht als Furcht verspüren und ihr Herzrasen im Kontext zu dieser Emotion begreifen.

Alexithymie

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Da sind keine Emo-
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Diese gefühlsarmen Personen kann man in veritable Schwierigkeiten bringen, wenn man sie auffordert, den emotionalen Widerhall zu beschreiben, den eine bestimmte Situation in ihnen ausgelöst hat; sie sind nämlich nicht fähig mit Wörtern, wie sie im Lexikon zu finden sind, ihre Gefühle zu beschreiben. Ihnen fehlt einfach der Wortschatz dazu, obwohl sie die Wörter vom Wort her natürlich kennen, die andere in solchen Situationen verwenden würden. Diese Wörter sind für sie aber nicht greifbar in solchen Momenten. Der Begriff Alexithymie bedeutet: unfähig zu sein, Gefühle in Worte zu fassen.

Kinder kommen nicht auf die Welt mit einem Vokabular für Gefühle. Sie kommen aber auf die Welt mit der Fähigkeit, die alle Primaten haben, Gefühle durch nonverbale Gesten und paraverbale Laute auszudrücken. Im Laufe ihrer Entwicklung erlangen sie die Fähigkeit Objekten ihrer Umwelt und bestimmten Situationen eine gefühlsbetonte Bedeutung zuzuschreiben. Objekten und Begebenheiten wird mit der Zeit dasjenige Gefühl „angeheftet”, das stets dabei erlebt wird.

Wenn Kinder später Wörter verwenden um Objekte zu benennen oder wenn sie über sich selber sprechen, sind mit ihren Worten immer auch ihre Gefühle verknüpft. Werden ganze Sätze oder Satzfragmente als Gefühlsträger benutzt, sind sie „gespickt” mit gefühlsbetonten Wörtern, die für das Individuum in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind.

Werden Kinder aber in einem gefühlsarmen und kühlen Familienklima groß, sind sie es nicht gewohnt mit Worten auszudrücken was mit ihnen „los ist” – weil ihnen die Übungsmöglichkeiten nicht geboten wurden, Wörtern ausreichend emotionalen Hintergrund hinzuzufügen. Obwohl sie die Wörter kennen, können sie sie nicht verwenden, wenn es darum ginge Gefühle auszudrücken – weil sie die Gefühle selber nicht empfinden. Solche Personen besitzen keine Phantasie; ihr Denken ist rein pragmatisch orientiert – in automatistisch-mechanistischen Schemen. Mit einem Wort: Sie sind nüchtern und konkret bis in die Knochen.

Natürlich existieren bei einzelnen Individuen, je nach Familiensituation, graduelle Abstufungen der alexithymischen Persönlichkeitsstruktur. Alexithymiker müssen nicht zwangsläufig eine psychosomatische Krankheit entwickeln. Kommen sie aber in Krisensituationen, neigen sie aufgrund ihrer kontrollierten rigiden Persönlichkeitsstruktur dazu, auszuharren und durchzuhalten, obwohl sie von der Situation im Grunde überfordert sind – weil sie die emotionale Dringlichkeit, die dahinter steckt, nicht verspüren. Ihr Körper reagiert auf Stress aber genau so, wie der einer „normalen” Person.

Da ihnen „emotionale Ventile” fehlen, können sie sich nicht durch Jammern oder Wehklagen Luft verschaffen oder durch einen Wutausbruch. So speichern sie negative Gefühle auf, die unbemerkt den Körper überschwemmen und je nach Disposition zu einer psychosomatischen Krankheit führen. Dies passiert dann, wenn ihre Abwehrmechanismen nicht mehr ausreichen eine Situation kontrollieren zu können.

Rheumatoide Arthritis und Wut

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Sie ist sehr, sehr streng… ©Monkey Business/ fotolia.com

Arthritiker wachsen sehr häufig in Ursprungsfamilien auf die geprägt sind von dem oben beschriebenen kühlen Umgang miteinander. Die Mütter von Arthritikern sind überwiegend kalte, anspruchsvolle und autoritäre Persönlichkeiten, die selber gehemmt sind Gefühle zu zeigen. Rheumatiker haben in ihrer Kindheit – wie alle Kinder – ein starkes Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung.

Da ihre Mütter ihnen das nicht geben können, entwickeln sie starke aggressive Tendenzen, die teilweise in eine hasserfüllte Rebellion umschlagen. Da immer gleichzeitig auch starke Verlustängste mobilisiert werden, schwanken diese Kinder zwischen Aufbegehren und Unterwerfen. Durch dieses Muster werden sie schon frühzeitig Meister darin, starke und stärkste Gefühle, wie Hass und Ablehnung unterdrücken zu können.

Patienten mit rheumatoider Arthritis zeigen daher ein Persönlichkeitsprofil, das der einer alexithymischen Person mehr oder weniger entspricht. Ganz im Vordergrund steht bei ihnen eine Hemmung aggressiver Ausdrucksmöglichkeiten. Auffallend ist ein stark ausgeprägter Hang zur Selbstbeherrschung, der die Patienten nach außen hin ruhig und diplomatisch erscheinen lässt. Auch in äußerst frustrierenden Situationen sind sie nicht oder nur schwer in der Lage aggressive Tendenzen nach außen zu entwickeln; sie neigen dazu, diese Situationen einfach zu übergehen und ihre feindseligen Gefühle und Gedanken mehr nach innen – gegen sich selbst zu richten.

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Das ist eine ganz
Taffe… ©mangostock/ fotolia.com

Ein weiteres wichtiges Persönlichkeitsmerkmal der Arthritis-Patienten ist ihr starker Hang weitgehende Unabhängigkeit von anderen Menschen zu errei- chen. Da bei vielen die emotionalen Kapazitäten sich rasch erschöpfen, wenn sie enge zwischenmenschliche Beziehungen eingehen, ist es für sie emotio- nal überlebenswichtig, eine gewisse Distanz einhalten zu können. Sind Möglichkeiten dazu nicht gegeben, entwickeln sie starke unbewusste Gefüh- le von Hass und Rebellion, so wie sie einst gegenüber ihrer kühlen und dis- tanzierten Bezugsperson hegten.

Häufig ist das Auftreten einer rheumatoiden Arthritis mit einem Ereignis verbunden, das mit dem Verlust von Sicherheit und Autonomie einhergeht. Gefühle der Frustration und der Wut – wenn sie nicht ausgedrückt werden – führen zu einer erhöhten Anspannung der Skelettmuskulatur, als Vorberei- tung auf einen Angriff oder eine Flucht. Diese Verhaltensweisen sind in unseren Genen gespeichert und haben eine Millionen Jahre lange Evolutionsgesch chte hinter sich. In weniger krassen Fällen kommt es zu einem gesteigerten Muskeltonus selektiver Muskelgruppen – solchen, die für eine aggressive Aktion infrage kommen würden.

Bei einer rheumatoiden Arthritis jedoch kommt es zu einem Massenreflex, der nahezu die gesamte Muskulatur erfasst. Diese generelle Tonuserhöhung führt zu einer traumatischen Situation an den Gelenken, die unter der verstärkten Anspannung leiden.

Es ist nach heutigem Kenntnisstand nicht möglich einen Zusammenhang herzustellen, der befriedigend die Rolle der autoaggressiven Immunreaktion erklärt, die sich auf dieses Geschehnis aufpfropft. Es wäre vielleicht vorstellbar, dass die Veränderungen an den Gelenken Eiweißstrukturen erzeugt, die das körpereigene Abwehrsystem als fremd identifiziert und seine Antikörper ausschickt diese Strukturen zu eliminieren.

Eine genetische Veranlagung wird sehr wahrscheinlich vorhanden sein – die diese pathologische Reaktion unterstützt; d.h. nicht jede Person mit so einer charakterologischen Struktur und einer entsprechenden Auslösesituation, wird an einer rheumatoiden Arthritis erkranken. Interessant ist die Tatsache, dass im Vorfeld so einer Erkrankung die Patienten einen starken Drang verspüren, sich körperlich zu betätigen. Es ist anzunehmen, dass eine Art innere Weisheit den Patienten seine aufge- stauten aggressiven Impulse erkennen lässt und über einen exzessiven Bewegungsdrang die Möglichkeit schafft – wenn auch im geringen Maße – einen Teil der aufgestauten Spannung zu neutralisieren.

Sonjas Geschichte

Sonja wurde mit ihrer Zwillingsschwester, sie sind zweieiige Zwillinge, in einer Metzgerfamilie groß. Ihre Kindheit war geprägt von der Arbeitswut und dem Schaffensdrang wie er in so einem Familienbetrieb herrscht. Zeit sich groß mit den Kindern zu beschäftigen existierte hinten und vorne nicht, da die Mutter mit im Laden stand und nebenbei ein strenges Auge auf die Verkäuferinnen und die Gesellen haben musste. Kindermädchen wurden engagiert und auch schnell wieder entlassen, weil die meisten die Ansprüche der Chefin nicht erfüllen konnten. Die einzige wirkliche Bezugsperson für die Kinder war die Oma väterlicherseits, die den Kindern so etwas wie Nestwärme zuteil werden ließ.

Leider verstarb sie an Krebs, als die Mädchen sieben Jahre alt waren. Ab da gab es nur noch eine dürftige emotionale Kost für die Kinder – die Mutter war der Ansicht, dass es etwas ganz Ungutes ist, wenn sie verwöhnt werden würden. Mit ihrer strengen Art wollte sie ihre Töchter „abhärten” und sie so zu tüchtigen, arbeitsamen Menschen erziehen.

Sonja und ihre Schwester waren grundverschieden: Die eine – Sonja – aufgeweckt und extrovertiert; Brigitte die andere, ruhig und zurückhaltend. Es war im Grunde vorhersehbar, dass Sonja mit ihrer Mutter heftigst aneinander geraden würde. Die Mutter war streng und unbeugsam und bestrafte Sonja hart bei Kleinigkeiten – um ihr die Flausen auszutreiben; heftigste Ablehnung und Hass war die Reaktion des Mädchens. Aber aus Angst vor weiterer Strafe unterdrückte sie diese Gefühle mit übermenschlicher Anstrengung.

Da sie eine sehr intelligente Schülerin war und sehr belesen und wissbegierig, stand das Thema an, sie auf eine weiterführende Schule zu schicken. Obwohl ihre Lieblingslehrerin, mit der sie ein inniges Vertrauensverhältnis verband, ihr Ansinnen unterstützte, willigte die Mutter nicht ein. Nach ihrer Meinung sollte die Tochter eine kaufmännische Lehre machen; höhere Schulbildung sah sie für ein Mädchen als nicht erstrebenswert an, weil die später „sowieso alle Mal heiraten und Kinder haben”. Diese Einstellung brachte Sonja erst recht auf die Palme und in ergebnislosen Diskussionen versuchte sie, ihre Mutter vom Gegenteil zu überzeugen…

Ehe lässt Arthritis ausbrechen

Nach neun Jahren Ehe mit ihrem Mann Karl-Heinz war Sonja in einer ganz schwierigen Situation: Karl-Heinz, vom Beruf Ingenieur, war schon seit über einem Jahr arbeitslos. Angefangen hatte die Misere damit, dass Karl-Heinz sich in seiner Firma ungerecht behandelt gefühlt hatte. Es gab Streitereien und Auseinandersetzungen, die ihm schwer zusetzten. Anfangs war sie noch auf seiner Seite, aber später bemerkte sie, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmte. Als er anfing auch über den freundlichen Nachbarn zu schimpfen und heftige Auseinandersetzungen zu provozieren, schaltete sie ihren Hausarzt ein. Ein hinzugezogener Psychiater stellte die Diagnose paranoide Schizophrenie.

Nach einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt war er wieder soweit hergestellt, dass er als normal gelten konnte, aber seinen Arbeitsplatz hatte er mittlerweile verloren. Mit dieser Situation kam er nicht zurecht. Spannungen zwischen den Eheleuten häuften sich und er fing an, Sonja ein Verhältnis mit einem Vereins- kameraden anzudichten.

Da war nichts dran – Sonja „flüchtete” nur so oft es ging in ihren Tennisverein, weil sie das Bedürfnis verspürte, sich mehrmals in der Woche so richtig auszupowern. Karl-Heinz stichelte aber immer weiter, auch weil er merkte, seine Frau emotional nicht mehr erreichen zu können. Sonja hatte das diplomatische Geschick, auch schwerste Anschuldigungen gelassen hinzunehmen und ruhig zu bleiben. Teils führte sie sein unmögliches Verhalten auf die Wesensveränderung zurück, die seit der Psychose zu seinem zweiten Ich geworden war und entschuldigte ihn damit. Karl-Heinz war zu seinen Söhnen immer ein guter Vater gewesen und sie wollte nicht durch eine Trennung von ihm die Kinder zu Ehe-Waisen machen.

Sie befasste sich aber mit dem Gedanken an eine Trennung mehr und mehr, als sie feststellte, dass Karl-Heinz anfing, die beiden Buben streng und ungerecht zu behandeln. Sie versuchte ständig zu vermitteln und auszugleichen, aber die unerträgliche Situation mit dem schwierigen persönlichkeits- gestörten Mann wuchs ihr allmählich über den Kopf.

Eines Morgens stellte sie fest, dass sich ihre Finger so merkwürdig steif und unbeweglich anfühlten. Nur durch lange Bewegungsübungen gelang es ihr die Steifigkeit zum Verschwinden zu bringen…

Schlussbemerkung

Liebe Leserin, lieber Leser, sollten Sie unter einer rheumatoiden Arthritis leiden, wird Sie mein Text sicher interessiert haben, auch wenn er ziemlich lang geworden ist. Eines liegt mir sehr am Herzen und da möchte ich zum Schluss noch unbedingt darauf hinweisen: Auch wenn Sie sich bei Ihren Rheumatologen gut aufgehoben fühlen, seien Sie kritisch, wenn ihr Arzt eine seelische Beteiligung bei Ihrer Erkrankung für abwegig hält. Das stimmt nicht!

Vor allem dann nicht, wenn Sie dieses Persönlichkeitsmuster – das ich gezeichnet habe – im weitesten Sinne auch auf sich beziehen können. Unterdrückte bzw. nicht gefühlte aggressive Spannungen können bei disponierten Menschen, in ungünstigen beruflichen oder privaten Situationen, eine Krankheit wie diese in Gang setzten.

Es rentiert sich für Sie – da bin ich felsenfest überzeugt – wenn Sie sich daran machen, Ihre Persönlichkeit zu verändern. Suchen Sie sich psychotherapeutische Hilfe bei einem Fachmann oder gehen Sie in eine psychosomatische Klinik – es wird sich auszahlen für Sie.
Wenn Sie meinen Rat wünschen, dann schreiben Sie mir eine Mail. Wenn Sie inhaltliche Verständnisfragen haben, was den Text betrifft, schreiben Sie mir, ich werde Sie Ihnen gerne beantworten.

Für weitere Informationen über die rheumatoide Arthritis empfehle ich Ihnen die Internetpräsenz der Deutschen Rheumaliga.