Kinderfürsorge und Erziehung – evolutionäre Psychologie

Im Kibbuz sollte die Mutterrolle abgeschafft werden

Jerusalem

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Wie auf der vorhergehenden Seite dargelegt sind Ideologien Kopfgeburten die oftmals bei ihrer Umsetzung an der Realität scheitern, wenn sie typisch menschliche Motivationen und Bedürfnisse unberücksichtigt lassen.

Die Ideologie, die der jüdischen Kibbuzbewegung zugrunde liegt, geht von der Gleichheit aller aus und der alles überragenden Bedeutung die das Kollektiv einnimmt. Alles in einem Kibbuz soll Eigentum der Gemeinschaft sein. Das Land gehört allen gleichermaßen. Es herrscht absolute Demokratie; keiner steht über dem Anderen.

Alle arbeiten und sind gleichermaßen bemüht den Wohlstand der Gemeinschaft zu vermehren. Jeder – egal ob Mann oder Frau – hat den gleichen Verdienst. Um die Frauen den Männern gleichstellen zu können, wollte man sie vom „Joch” der Kinderaufzucht befreien. Die dadurch freiwerdende Arbeitskraft sollte der Gemeinschaft zugute kommen. Man hing der Vorstellung nach, die geborenen Kinder in gemein- schaftlichen „Aufzuchtstationen” groß werden zu lassen.

„Kibbuzler” wollten Menschen ummodeln

Die patriarchalische Kleinfamilie, wie sie traditionell gegeben war, sollte weichen und an ihrer Stelle das allumfassende Kollektiv etabliert werden. Gefühle persönlicher Art – zwischen Mann und Frau ebenso wie zwischen Mutter und Kind – sollten in den Hintergrund rücken, um einem allumfassenden kollektiven Bewusstsein Platz zu machen. Um die totale Emanzipation zu erreichen versuchten die Frauen, auf allen möglichen Gebieten, mit den Männern gleich zuziehen. So vollbrachten sie z. B. in der Landwirtschaft Leistungen, für die sie körperlich nicht geeignet waren. Außerdem versuchten sie ihre Weiblichkeit zu unterdrücken, indem sie sich kleideten wie die Männer.

Dieses utopische Experiment ging nicht von einer Gleichwertigkeit der Geschlechter aus, so wie sie von Natur aus gegeben ist und überall dort beobachtet werden kann, wo Tiere Familienverbände bilden. Hier haben Männchen und Weibchen zwar häufig unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen – niemanden würde es aber einfallen zu sagen, dass ein Geschlecht dabei weniger bedeutsam sei als das andere. Und wenn man auf dieser Schiene schon argumentieren wollte, müsste man sagen, dass die Weibchen, auch die menschlichen, für das Fortbestehen einer Art immer den größeren Einsatz bringen.

Von den Chefideologen der Kibbuzbewegung wurde ignoriert bzw. nicht anerkannt, dass Mann und Frau – in zwar unterschiedlicher Art und Weise – aber dennoch gleichwertig, ihren Beitrag zum Gelingen des Lebens leisten. Dieser Unterschiedlichkeit wie sie der traditionellen Rollenverteilung zugrunde liegt sollte der Kampf angesagt werden, da man darin, aus ideologischen Denkansätzen, eine Wertminderung der Frau erkannte. Dadurch, dass man die Frauen „männlicher” machte, wollte man ihren Wert für das Kollektiv steigern.

Frauenrolle hat an Bedeutung verloren

Die Gewichtung der sozialen Rolle von Mann und Frau hat sich zwar seit der Sesshaftwerdung des Menschen vor rund 10.000 Jahren zu Ungunsten der Frau verschoben, aber nichts desto trotz ist eine unterschiedliche Aufgabenverteilung – zwischen Mann und Frau – biologisch vorgegeben und deshalb natürlich. Schaut man sich im Tierreich um, findet man überall in der Natur diese Rollenverteilungen; sie treten immer dann auf, wenn Paare für eine gewisse Zeit zusammenarbeiten, um ihren Nachwuchs hochzubringen. Natürliche Asymmetrien bei den elterlichen Investitionen haben ihre biologischen Wurzeln in allerfernster Vergangenheit. Sie leiten sich ab aus den unterschiedlichen Größenverhältnissen von Eiern und Spermien bei primitiven Urorganismen und den unterschiedlichen Kosten, die sie für die Geschlechter haben.

Persönliche Bindungen sollten weg

Die Ehe – obwohl sie im jüdischen Kibbuz existierte – wurde in ihrer Bedeutung so weit als möglich heruntergespielt. Enge emotionale Bindungen zwischen den Geschlechtern waren geradezu verpönt und wurden nicht als erstrebenswert erachtet. Die Sexualität – mit ihren starken Emotionen – wurde als Be- drohung bzw. als Konkurrenz zum Gemeinschaftsgefühl erlebt. Man wollte, vom sozialpolitischen Gesichtspunkt aus betrachtet, alles versuchen, was möglich war, um Individualität und persönliche Bindungen zurückzudrängen – zu Gunsten eines allumfassenden Wir–Gefühls.

Natürlich mussten die Ideologen der Kibbuzbewegung akzeptieren, dass biologische Gegebenheiten – letztendlich – Mann und Frau voneinander unterscheiden, wie das Gebären der Kinder beispielsweise. Aber nach der Geburt sollten die Kinder zur Erziehung an das alles dominierende Kollektiv überantwortet werden. Zu diesem Zweck wurde die Betreuung des Nachwuchses in dafür vorgesehenen Kinderhäusern zentralisiert. Die Kleinen wurden in Gruppen Gleichaltriger zusammengefasst und einer Erzieherin – einer Metapelet – anvertraut.

Mit dieser Maßnahme wurde die Mutterrolle der Frau praktisch abgeschafft. Der Auftritt der leiblichen Mütter in den Kinderhäusern erfolgte gemeinschaftlich und zu festgesetzten Zeiten. Die Mütter kamen anfangs zum Stillen in den Hort und später zum Spielen. In bestimmten Abständen wechselte die Metapelet, um nicht eine zu starke Hinwendung an eine Bezugsperson zu erreichen. Die aufwachsenden Kinder sollten sich ausschließlich mit dem Kollektiv identifizieren.

Eheleute hatten im Kibbuz kein engeres Privatleben, denn praktisch Alles spielte sich in den Gemeinschaftsräumen ab. Es gab Säle, in denen sich alle zum Essen versammelten und Gemeinschaftskü- chen zur Zubereitung der Mahlzeiten, sowie riesige Wäschereien zur gemeinschaftlichen Nutzung. Alles wurde geregelt und zentralisiert und dem kollektiven Willen unterworfen.

Frauen erzwingen Zusammensein

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Ihr Kind macht sie glücklich… ©denys_kuvaiev/ fotolia.com

Wie sich jeder vorstellen kann hatten israelische Mütter noch nie große Tendenzen gehabt ihre Kinder wegzugeben und sie einer fremden Betreuung zu überantworten – mit wenigen Möglichkeiten sich selber um sie zu kümmern. Da die Frauen fest im Produktionsprozess einge- spannt waren, blieb ihnen erst einmal gar nichts anderes übrig als diese unangenehme Tatsache zu akzeptieren.

Aber relativ bald schon fingen sie an heftigst gegen diese unerträgliche Situation zu rebellieren. Es ist ganz klar, dass jede Mutter ihr Kind am liebsten immer bei sich haben möchte, das ist sozusagen ihre biologische Bestimmung. Die Frauen erzwangen daher Änderungen am Besuchsreglement, um mehr Zeit mit ihren Kleinen verbringen zu können.

Schließlich kam es soweit, dass Neugeborene die ersten Monate nach der Geburt ganz bei ihnen verbleiben durften. Auch die kurzen Besuchszeiten von einst wurden auf Wunsch der Mütter auf mehrere Stunden ausgedehnt. Parallel dazu sank der Frauenanteil der in der Produktion beschäftigt war eklatant.

M. E. Spiro machte dazu umfangreiche Untersuchungen: 1920 waren bei der Gründung des Kibbuz Kiryat Yedidim 50 Prozent aller Frauen in Landwirtschaft oder Industrie beschäftigt; 30 Jahre später waren es nur mehr 12 Prozent. M. E. Spiro bewertete die radikale Kehrtwende mit der Aussage, dass es wohl die Natur des Menschen war, die sich gegen die gemeinschaftliche Kinderaufzucht zur Wehr gesetzt hat und die dazu führte, dass das Modell der Mutter–Kind–Beziehung wieder an erster Stelle rangierte.

Diese Ergebnisse – die nicht wirklich überraschen –, dokumentieren eindrucksvoll wie stark das mensch- liche „Brutpflegeverhalten” in den Müttern angelegt ist. So stark, dass selbst ideologische Zielsetzungen es nicht vermögen, diese fundamentalen weiblichen Bedürfnisse auf Dauer außer Kraft zu setzen.