Frage zum Thema „Polarisierung“

Gehen Zweierbeziehungen immer asymmetrisch „zugrunde“?

Herr Manfred G. fragt: „Hallo Herr Ittner, sie schreiben auf Ihrer Website, dass Zweierbeziehungen in ihren Endphasen immer sehr stark emotional polarisiert sind. Können Sie mir das mit der Polarisierung noch einmal genauer erklären? “

Menschliche Zweierbeziehungen sind praktisch niemals vollkommen ausgeglichen. Das gilt für Liebesbeziehungen genauso wie für Freundschafts- oder Geschäftsbeziehungen. Einer der beiden Beziehungspartner ist immer der „Mächtigere“, weil es immer einen gibt, der an der Beziehung etwas weniger Interesse hat als der andere. Nehmen diese Unterschiede krasse Formen an, kann man von Abhängigkeit sprechen, die den Einen an den Anderen kettet.

Oft sind diese Unterschiede klein und subtil, gegeben sind sie praktisch immer! Differenzen in den Bedürfnis- und Gefühlslagen Liebender können vielerlei Ursachen haben. Eine davon ist evolutionären Ursprungs – es ist der geschlechtsspezifische Unterschied zwischen Mann und Frau –, er lässt die Herren der Schöpfung etwas anders fühlen als die holde Weiblichkeit.
Allgemein betrachtet sind diese Bedürfnis-Differenzen aber nicht starre, festgezurrte Größen sondern dynamische Faktoren, die einem Wandel unterliegen können. Geschieht dies, verschiebt sich das Machtgleichgewicht einer Beziehung in die eine oder andere Richtung. Solche Machtverlagerungen polarisieren stets auch die romantischen Gefühle eines Paares – d.h. einer liebt immer mehr, der andere immer weniger. Was am Anfang einer Beziehung so toll und mühelos gewesen ist, kann im Handumdrehen zu einem beschwerlichen Unterfangen werden. Plötzlich hat einer in der Beziehung die „Hosen an“ und sagt wo’s langgeht – und das muss nicht unbedingt der männliche Beziehungspartner sein ;-).
Hat sich das emotionale Machtgefüge erst einmal verschoben, kämpfen die Abgerutschten auf der schiefen Ebene um Halt und Sicherheit und probieren verzweifelt wieder nach oben zu kommen. Dies versuchen sie nahezu immer mit untauglichen Mitteln und so verschlimmert sich ihre widrige Situation mehr und mehr…

Da nach meiner Erfahrung und nach meiner wissenschaftlichen Erkenntnis die romantischen Gefühle von Natur aus zeitlich begrenzt sind, ergeben sich allein schon aus dieser Tatsache asymmetrische Machtverteilungen, denn das Abflauen der Gefühle wird aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten und der geschlechtsspezifischen Differenzen kaum jemals symmetrisch erfolgen.

Selbst wenn lang gediente Ehepaare fast keine Gemeinsamkeiten mehr haben und jeder schon mal ans Aufgeben gedacht hat, ist für den Einen doch plötzlich alles ganz anders, wenn sein Partner unvermittelt verkündet, dass er sich trennen möchte. Ab diesem Zeitpunkt hat er die Macht über die Beziehung, und der Andere, der Machtlose, fängt oft wieder zum Kämpfen an und zum Lieben. Diese Abläufe sind so stringent und uniform, dass es ganz, ganz selten einmal vorkommt, dass beide frühmorgens erwachen und einvernehmlich zueinander sagen, dass es wohl besser wäre, wenn sie in Zukunft getrennte Wege gehen würden.