Selbstvorwürfe und Schuldgefühle

Über Vor- und Nachteile beim Umgang mit Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen

(Ein Essay von Lea Schock)

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Noch gestern war der Himmel blau, nur sieben kleine Wölkchen in Sicht. Auf der Höchsten von diesen thronten ausgerechnet Sie – stolz und erhaben; erfolgreich und glücklich; den Blick auf eine wundervolle Welt gerichtet. Und heute schon liegen Sie am Boden – gescheitert, gebrochen, fassungslos.
Ihr Partner hat Ihnen das abrupte „Aus” Ihrer Beziehung erklärt und Sie in hektischen Worten mit einer so großen Liste von Vorwürfen überhäuft, dass Sie ganz sicher noch für den Rest Ihres Lebens daran knabbern werden.

Das jedoch tun Sie selbstverständlich nicht!

Zwar fühlen Sie sich im Moment, wie von allen guten Geistern verlassen, aber trotz allem Leid spüren Sie etwas im Hintergrund Ihrer Verzweiflung, das Sie jetzt „bei der Stange” hält. Die Worte Ihres Partners jagen Ihnen durch den Kopf. Tausendmal spult sich das Band dieser Erinnerung in Ihren Gehörgängen ab, und Sie glauben sogar, darin die wahren Gründe für den definitiven Schritt Ihres Partners zu erkennen. Sie entlarven wenigstens ein oder mehrere Missverständnisse dabei, die Sie ganz sicher zu klären wissen und schöpfen daraus neuen Mut.

Verzweiflung? Nein, diese lassen Sie gar nicht erst zu, wäre es doch gelacht! In der Erkenntnis, die wahre Ursache für die Probleme Ihrer Beziehung aus der Welt schaffen zu können, erwarten Sie von Ihrem Partner eine neue Chance. Gleich am nächsten Morgen suchen Sie Kontakt. Sie bitten um ein Treffen, sprudeln vor Energie und wissen, dass Sie auch diese Hürde mit Schwung überwinden können, genau wie die anderen zuvor.

Sie erhalten diese Chance, setzen an zum Sprung und fallen auf die Nase!

Ihre „Schuldliste” ist gewöhnlich lang

Zwar hat Ihr Ex dem Treffen zugesagt, doch die klärende Aussprache verläuft ganz anders, als Sie es sich haben ausmalen können. Schnell merken Sie, dass die Liste der Gründe, die Ihnen die Schuld an Ihrem eigenen Desaster zuschreiben soll, die Ursache nicht einmal tangiert, und dass die zu klärenden Missverständnisse nicht die geringste Rolle spielen. Enttäuscht stapfen Sie nach Hause zurück. Die ganze letzte Nacht haben Sie damit verbracht, die genannten Gründe zu überprüfen, Ihre Schuld anzuerkennen und einzugestehen, um die Störung schließlich beseitigen zu können.

Denn wer die Schuld hat, der spürt auch eine Form von „Macht”: Er hat die Lizenz zur Veränderung. Der Unschuldige hat diese nicht. Opfer sein will niemand gern!

Also ist es nur natürlich und logisch, dass auch diese Nacht vergeht, in der weitere mögliche Aspekte beleuchtet werden, die dienlich sind, die eigene Schuld noch zu vergrößern. So werden im Geiste die Rollen vertauscht: Der eigentlich ohnmächtige Verlassene erklärt sich zum Täter und deklariert den mächtigen Verlassenden zum Opfer.

Tatsächlich wäre dieser Ansatz im Prinzip nicht schlecht. Als freiwilliger Schuldbekenner geben Sie sich das Zepter wieder in die Hand und glauben, das Schicksal zu lenken. Im Falle Ihres Scheiterns würden Sie so nur Ihren eigenen Fehlern unterliegen und nicht an Ihrem Ex zerbrechen. Eine solche Niederlage könnten Sie stillschweigend hinnehmen, und niemand würde es bemerken. Rein rational betrachtet wäre das zum Erhalt Ihrer Selbstachtung eine gute Medizin. Aber das wäre auch der einzige große Vorteil. Das Problem, um das es geht, bleibt in der Regel ungelöst. Denn die Schuld am Ende einer Beziehung ist meistens auf beide Partner verteilt.

Ihr Schuldbewusstsein war nicht sehr ausgeprägt

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Südstaaten-Villa ©Matty Symons/ fotolia.com

Die stolze Scarlett O’Hara mag sich dieser Methode erfolgreich bedient haben, um ihre Ohnmacht zu bekämpfen, als Rhett Butler sie endlich verließ. Zwar hat sie ihren Teil der Schuld erst als Verlassene erkannt. Aber sie hat sich sofort selbst verziehen und sich höheren Zielen zugewandt. Dadurch ist sie nicht zerbrochen, weder an ihren Fehlern, noch an dem Mann, der seine Konsequenzen zog.

Wer diese Methode wählt, aber nicht beherrscht, weil er sich nicht verzeiht, kann an seinen Selbstvorwürfen verzweifeln. Die möglichen „Nebenwirkungen” der freiwilligen Last sind unvorhersehbar und können in individuellen Fällen verheerend werden, wie das folgende dramatische Beispiel zeigt:

Der hier macht sich einen großen Kopf

Thomas P. hatte sich die Beschuldigungen seiner Ex-Freundin, die er unsterblich liebte, sehr zu Herzen genommen. Seine Freundin hatte die Beziehung beendet, ihm dies und jenes vorgeworfen und dabei ausgerechnet in die Kiste der Fehler gegriffen, die Thomas ohnehin schon an sich selbst nicht mochte, die er aber z.T. auch nicht mehr rückgängig machen konnte. Hinzu kam die große Entfernung seiner Arbeitsstelle, weshalb er nur die Wochenenden mit ihr verbringen konnte.

In den ersten Tagen und Nächten verließ er kaum die Stube und redete mit niemandem, weder über das Ende seiner Liebes-Beziehung, noch über seine Pläne, sich zu bessern und die Sache ins Reine zu bringen. Thomas wusste, dass sie recht hatte. Ihre Vorwürfe waren begründet. Sie war sicher noch verliebt und hätte ihn nie verlassen, wären da nicht die Dinge gewesen, die sie so sehr störten. In dieser Vorstellung hatte Thomas sich tapfer gehalten. Zwar fand er keinen Schlaf mehr, und seine körperlichen Kräfte begannen zu schwinden. Auch seine Konzentrationsfähigkeit ließ nach, was ihm bei seiner Arbeit als Berufssoldat erheblich zu schaffen machte. Aber Thomas war ein Kämpfer und immerhin erst 25 Jahre jung.

Er vermisste seine Freundin sehr, doch er gab den Glauben nicht auf, die Situation zu seinen Gunsten ändern zu können. Während seine Kameraden ihm rieten: „Lass die Schlampe laufen! Sie ist sowieso nicht treu!”, verteidigte er sie nur. Doch wenn er in den Nächten im Wachzustand da lag, an seiner Eigenverschuldung herumzuknabbern, kamen insgeheim Zweifel in ihm auf. Bis zum Morgengrauen hatte er so manche Skepsis und Ahnung um eine mögliche Mitverschuldung oder ein ungerechtes Verhalten seiner geliebten Ex erfolgreich unterdrückt.

Immer wieder suchte und fand er den Kontakt zu ihr. Sie gab sich stets freundlich, ließ ihn aber nicht mehr an sich heran. Beim vorletzten Telefonat hörte er im Hintergrund eine männliche Stimme. Rein rational ignorierte er auch das, aber sein Unterbewusstsein tat es nicht. Erst gegen Ende der 2. Woche holte sich sein Körper den dringend benötigten Schlaf, gerade in der Nacht, als er Wachdienst hatte. Ein furchtbarer Albtraum schüttelte ihn: Als Soldat sah er sich auf der Flucht, durch Schutt und Asche rennen, sich in zertrümmerten Häusern verirren. Er stolperte und fand unter einem lockeren Haufen von Holz und Steinen ihre Leiche. Schweißgebadet wachte er um 5 Uhr morgens auf, kniend auf dem Boden, das geladene Gewehr abschussbereit vor sich haltend. Zu seinem großen Glück hatte niemand das bemerkt.

Drei Wochen später gab es Heimurlaub, dann würde er einen neuen Anlauf starten. Bis zu diesem Tag jedoch plagte ihn sein Gewissen. Immer wieder hatte er diesen Traum vor Augen. Das Bild ihrer Leiche quälte ihn. Das Rätsel um ihren Tod in seinem ungeschehenen Schreckerlebnis bereitete ihm furchtbare Kopfschmerzen. Denn wie sie darin ums Leben kam, verriet der Traum ihm nicht. Noch mehr Schuldgefühle machten sich breit, und seine Liebe zu ihr, sowie sein Wunsch, sie möge ihm endlich verzeihen, wuchsen ins Unermessliche. Er selbst verzieh sich nicht!

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Streit… ©diego cervo/ fotolia.com

Am 5. Wochenende durfte er endlich wieder heim und verabredete sich erstmalig mit einem alten Freund. Gemeinsam besuchten sie ein Fest im Dorf – die erste entspannende Abwechslung seit Wochen. „Biertheken schön saufen!” hieß das Motto; und das Bier lief reichlich.

Drei schwere Humpen hatte Thomas schon geschafft; der Vierte war halb leer, da sah er im Gedränge seine Ex!  Der Arm eines fremden jungen Mannes legte sich um ihre Schultern und führte sie aus der Menge weg. Eine Zeit lang schaute er dem verliebten Pärchen hinterher, dann trat auch er aus der Menge heraus, um den beiden Ahnungslosen zu folgen.

Nun endlich schlugen seine Schuldgefühle um, und der aufkommende Hass überwältigte ihn; schnaubend vor Wut erhob er den halb vollen Humpen und schleuderte diesen mit voller Wucht den Verliebten hinterher. Nur knapp ein Meter fehlte, da zerschellte das Geschoss auf dem Boden, und die umherspritzenden Splitter verletzten ihre nackten Beine.

Er ist der„Meister” der Schuldgefühle

Dostojewski - das Bild stammt von dieser Website

Dostojewski – das Bild stammt von hier

Fjodor Dostojewski hätte die inneren Vorgänge im Geist dieses jungen Mannes bis ins kleinste Detail beschreiben können. Wer den Roman „Schuld und Sühne” kennt, kann sich ein gutes Bild davon machen, in welches Wechselbad der Gefühle Thomas hineingeraten war. Zwar hatte Raskolnikow seinen Mord geplant und sich von vornherein dazu berechtigt gefühlt, aufgrund all der gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren waren.

Thomas hatte das nicht geplant! Doch auch er muss eine große Ungerechtigkeit empfunden haben, ausgelöst durch seine Schuldgefühle, die er sich ganz alleine über all die Wochen, vielleicht auch früher schon, selbst auferlegt hatte.

Menschliches Handeln wird zu einem großen Teil von Emotionen geleitet. Kein normaler Mensch wird je in der Lage sein, eine solche Ausnahm- esituation rein rational zu bewältigen, d.h. einfach seinen Hut zu nehmen und zu gehen, nur um seiner wohlverdienten und lebenswichtigen Selbstachtung willen.

Emotionen, die hungern, verlangen nach Nahrung. Sie sticheln, quälen, schreien auf und können bei Unterdrückung den ganzen Körper lähmen, bis sie letztendlich herausplatzen und alle Pläne zerstören, die der Verstand sich so schön zurechtgelegt hat.  Für eine gewisse Zeitspanne kann die Vorstellung der eigenen Schuldigkeit sicher helfen, das Unvermeidbare zu ertragen. Doch irgendwann wird man irgendwie nach einem „gerechten” Ausgleich suchen.

Thomas P. hat dieses Trauma nie überwunden. Als unschuldiger junger Mann besuchte er dieses Fest, und seine Überzeugung um seine Schuldigkeit ließ ihn tatsächlich schuldig werden. Von seinem unheilbar schlechten Gewissen getrieben, meldete er sich freiwillig in den Krieg nach Afghanistan und kam nicht zurück.

Fazit:

Der gesamte Verlauf einer Beziehung – vom Anfang bis zum Ende – unterliegt immer einem Wech- selspiel von Macht und Ohnmacht!

Die Frage nach der Schuld hat auf die Liebe so gut wie keine Wirkung und ist deshalb für eine Änderung des jeweils herrschenden Machtverhältnisses in jeder Phase bedeutungslos, wenn nicht sogar störend. Liebe und Krieg haben Vieles gemeinsam. Wer Letzteren anzettelt, muss am Ende nicht zwangsläufig siegen.

Wem es nicht gerade gelingt, wie Scarlett, die eigene Niederlage als kleines Scharmützel zu betrachten und die Lösung seines Problems wie im Roman „auf Morgen zu verschieben”; wer nicht warten will, bis seine Trauer „vom Winde verweht”, der findet bereits beim Durchforsten dieser Seiten sowie des Forums, hilfreiche Tipps und Strategien in Hülle und Fülle.

Wer sogar wie Thomas empfindet und im Begriff ist, im Kampf gegen sich selbst seinen eigenen Gefühlen zu unterliegen; wer wie er die falschen Waffen ergriffen hat und diese auch noch gegen sich selbst gerichtet hat, dem sei anheim gelegt, dass große Kriege nur mit ausgeklügelten Strategien zu gewinnen sind.

Neben dem virtuellen „Arsenal” geeigneter Waffen, die ihm auf diesen Seiten zur Verfügung stehen, bietet sich auch die Möglichkeit, innerhalb eines individuellen Beratungsgesprächs mit Wolfgang Ittner Anleitung zum Gebrauch derselben zu erhalten, sowie die dazu passende, auf seine Situation zugeschnittene Strategie zu finden.

Motive

Mit freundlichen Grüßen und bester Empfehlung!
Das Wort zum Sonntag sprach Lea Schock.
Bleiben Sie uns gewogen! :)))