Frage zum Thema „Trennung“

Wenn nach einer Trennung die Lust wieder erwacht

Frau Petra I. schreibt: „Lieber Herr Ittner, bei mir geht alles drunter und drüber: Mein Mann hat sich von mir getrennt, weil es eine Andere gibt. Wenn er ab und zu kommt, wegen der Kinder und so, haben wir leidenschaftliche Begegnungen. Ich möchte ihn unbedingt zurück, weiß aber nicht was ich machen soll. Ich werde noch verrückt!“

Diese eigenartige Beziehungskonstellation ist nicht selten Gegenstand einer Beratung oder eines Coachings. Um der Fragestellerin Petra vertiefter Auskunft zu geben, möchte ich ein Beispiel aus meiner Beratertätigkeit anführen:

Stockt die Liebe gibt’s Stress und Streit

Naomi ist 27 Jahre alt und seit fünf Jahren mit ihrem Freund Sven, 31, zusammen. Sie sind unverheiratet und kinderlos. Drei Jahre lebten sie in ländlicher Gegend, in einem romantischen Bauernhaus. Ihre Partnerschaft geriet im letzten Beziehungsjahr in heftige Turbulenzen, weil es mit der Sexualität nicht mehr recht klappte: Naomi verspürte immer weniger Lust mit ihrem Freund zu schlafen. Unschöne Auseinandersetzungen ergaben sich, da der junge Mann, im bestem Alter und voll im „Saft stehend“, sich natürlich nicht mit dieser unglücklichen Situation arrangieren konnte…

Zunehmend geriet sich das Paar auch bei banalen Alltagssituationen heftig in die Haare. Sven, von Haus auf wahrscheinlich nicht gerade der Ordentlichste, sah keine große Veranlassung mehr, den allzu „pingelichen Vorschriften“ seiner Freundin Rechnung zu tragen. Über in der Wohnung herumliegende Klamotten entbrannten erbitterte Kämpfe. Naomi entwickelte einen richtigen „Ordnungswahn“, der sie zwang, streng auf ihren Freund zu reagieren. Irgendwann hatte der die „Schnauze“ voll und beendete das Ganze. Erstaunt war er von ihrer Reaktion: Sie, die selber das Wort Trennung schon oft in den Mund genommen hatte, verlor vollkommen die Fassung, als er ein paar Habseligkeiten zusammenraffte und verschwand. Große Verzweiflung und tiefe Liebe erfassten die junge Frau; plötzlich war sie willens alles zu tun, um ihn wieder umzustimmen. Ich als Coach sollte ihr dabei helfen; sie wollte jede noch so kleine Chance nutzen…

Mit einer strategischen Distanzierung liegt man selten falsch

In solch verzwickten Situationen sind bedingungslose Kontaktsperren das Mittel der Wahl. Naomi sah das anfangs gar nicht so, weil sie ihren Freund jenem Trennungstyp 2 zuordnete – der geht, obwohl er noch immer liebt…
Natürlich kann das sein, aber wenn es in einer Beziehung soviel Stress gegeben hat, wie bei Naomi und Sven, dann ist es besser, vorerst keinen Kontakt mehr zu haben; vor allem wenn auf Gesprächsangebote wiederholt negativ reagiert wurde. Macht man immer weiter, wird man die Ablehnung seines Ex weiter verstärken und seine Gefühle vollkommen auslöschen; auch wenn er zum Trennungstyp 2 gehören sollte…

Wenn Sie Zweifel haben, wie Sie Ihren Ex oder Ihre Ex einschätzen sollen, ist es klüger, erst einmal langsam zu machen und abzuwarten. Der „klassische“ Trennungstyp 2 ist sowieso eher selten und häufig liegt eine Mischform vor, auf die man besser mit einem totalen Rückzug reagiert. Im Zweifelsfalle also nichts machen – bevor man etwas Falsches tut.

Naomi konnte sich außerdem sicher sein, dass sich wegen Organisatorischem immer wieder Kontakte ergeben würden, da er nur ein paar Sachen zu seinen Eltern mitgenommen hatte, die ihn einstweilen Unterschlupf gewährten. Aber sie verkraftete es nicht, alleine in dem Bauernhaus zu sein. Sie wurde vor Gram und Verzweiflung derart depressiv, dass man sich ernstlich Sorgen um sie machen musste. Ich war deshalb froh, als eine Freundin den Vorschlag machte, dass sie einstweilen zu ihr ziehen könnte.

Ganz sein lassen konnte Naomi es nicht, ihren Ex hin und wieder anzuschreiben. Jedes Mal war sie traurig und niedergeschlagen, da er seine Antworten relativ unfreundlich abfasste. Als sie das endlich konsequent unterließ, kamen nach Wochen hin und wieder kleinere Anfragen von ihm. Da sie sich zwischenzeitlich „gefangen“ hatte, brachte sie es fertig, seine Mails mit lapidaren Aussagen zu beantworten. Weil es keinerlei Druck mehr von ihrer Seite gab, fühlte er sich herausgefordert, sie manchmal nach ihrem Befinden zu fragen. Wahrscheinlich wollte er auch sein schlechtes Gewissen wegen der Trennung etwas erleichtern.

Gefühle kontrollieren ist immer am Schwersten

Wie auch immer – diese sporadischen Kontakte schafften es etwas die Wogen zu glätten; jedenfalls nach außen hin. Aber Naomi hatte riesen Probleme ihre Wut zu kontrollieren, die immer wieder nach draußen drängte. Sie wollte Vergeltung für den großen Kummer den sie hatte. Destruktive Gedanken kreisten um Zerstörung und Sabotage… So glaubte sie allen Ernstes, dass seine freundlichen Mails einzig den Zweck hätten, diese Wut in ihr zu besänftigen – um sie am Ausrasten zu hindern. Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht kannte er sie so, und vielleicht war es purer Zufall, dass sein geliebtes Motorrad noch unbeschadet in der Garage stand…

Trauer, Wut und Liebe waren lange Zeit ihre vorherrschenden Emotionen. Ihr Verhalten war stark davon abhängig, welches dieser Gefühle gerade Regie führte. War die Trauer im Vordergrund, drehten sich unsere Telefonate darum, wie man trotz einer depressiven Stimmungslage den Tag überstehen konnte.
Regierte die Liebe, mussten alle Überredungskünste der Welt aufgeboten werden, damit sie nicht zum Telefonhörer griff, um ihm zu sagen, wie sehr sie ihn vermisste. Oft schoss unbändige Wut in ihr hoch, von einem Moment auf den anderen. Einmal konnte ich sie gerade noch davon abhalten, Möbel von ihm nach draußen zuschaffen und anzuzünden. Sie hatte sich urplötzlich in den Kopf gesetzt, dass er ganz schnell all seinen Krempel holen müsste, weil sie den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Damit pressierte es ihm aber überhaupt nicht – was ich als positives Zeichen wertete. Sie wertete es negativ – weil er permanent ihren Willen missachtete. Als Coach hatte ich es nicht gerade leicht mit ihr 😉 !

Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, wenn Menschen auf seelische Ausnahmesituationen mit Schwankungen ihrer Gefühlswelt reagieren. Aber es ist sehr gefährlich, wenn die Expartner allzu viel davon mitbekommen. Die meisten Trennungswilligen sind sich nicht einhundert Prozent sicher, dass das was sie tun richtig ist. Diese ambivalente Einstellung kann die Chance des Verlassenen sein – wenn er sie zu seinen Gunsten nutzt. Ambivalenzen können aber schnell verschwinden, wenn der Ex durch irrationale Handlungen überzeugt wird, dass es richtig war, die Beziehung zu beenden. Sie müssten daher sehr darauf achten – verehrte Leser – Ihre angeschlagene Gefühlswelt im Zaum zuhalten. Der Zuspruch einer guten Freundin oder eines guten Freundes kann in solch schwierigen Situationen unschätzbar wertvoll sein…

Ihre Lust ist wieder da

Nach fünf Wochen außerhäusigen Wohnens beschloss Naomi, in ihr leer stehendes Bauernhaus zurückzukehren. Sven lebte derweil weiter bei seinen Eltern. Sie hatte mächtig Bammel ihm irgendwann wieder gegenüber zustehen. Seit seinem Auszug waren fast acht Wochen vergangen. Aber das erste Treffen verlief unspektakulär und deshalb gut. An einem Sonntagmorgen tauchte er nach Absprache auf, weil er das Motorrad nach der Winterpause wieder angemeldet hatte und eine Tour mit seinem Kumpel machen wollte. Sie tranken einen Kaffee zusammen und plauderten ein wenig. Abends wollte er noch mal bei ihr reinschauen, wenn er die Maschine zurückbrächte. Interessant war, dass nach Wochen der Trennung wieder starke sexuelle Gefühle in Naomi auflebten – in einer Heftigkeit – die sie verblüffte; Liebe und Lust gehen manches Mal eben die seltsamsten Wege…
Sie fragte, ob sie abends einen Versuch machen sollte, ihn zu verführen. Sie meinte, er habe am Morgen so seltsam geguckt – mit Blicken voller Erwartung und Zweideutigkeiten.

Solche Fragen sind immer schwer zu beantworten. Generell wäre es besser, langsam zu machen. In jedem Fall müssten Sie so vorgehen – sehr verehrte Leserinnen –, wenn ihr Ex sein sexuelles Interesse an Ihnen verloren gehabt hätte. Ihn dann der Situation einer Verführung auszusetzen, kann ein peinliches Fiasko geben – sollte er Ihr Ansinnen ausschlagen. Diese Ablehnung wird auf Dauer zwischen euch stehen. Es wird Sie lähmen – sowieso –, irgendwann einen zweiten Versuch zu starten; und auch ihn, sollten später tatsächlich neue Begehrlichkeiten bei ihm wachsen. Sie müssen höllisch aufpassen nicht in so eine Falle zu tappen!

In unserem Beispiel war das Risiko nicht allzu groß, da Sven noch vor Wochen wiederholte Anläufe unternommen hatte, mit seiner Lebensgefährtin ins Bett zu gehen. Da es keine Neue gab, konnte davon ausgegangen werden, dass er eine heiße Nummer nicht rundweg ablehnen würde. Aber gefährlich war das ganze schon. Ich ermahnte sie, den Vorstoß nur dann zumachen, wenn sie absolut sicher wäre, dass er darauf eingeht. Und tatsächlich: Er ging darauf ein. Nach vielen Monaten sexueller Abstinenz, konnte er sich ihren Reizen einfach nicht entziehen. „Es war viel einfacher als ich dachte“, sagte sie anderntags am Telefon. „Ich habe das so gedeichselt, dass er den Eindruck hatte, er hätte den Anfang gemacht“. Frauen können manchmal schon verdammt raffiniert sein, wenn es darum geht, Ziele zu erreichen 😉 .

Ins Bett gehen aus „Versehen“

Sollte Ihnen so etwas geglückt sein liebe Leserinnen, ist es mega wichtig, die „Sache“ nicht an die große Glocke zu hängen. Das heißt, Sie dürften in keinster Weise damit die Erwartungshaltung verknüpfen, dass jetzt der Neustart eurer Beziehung erfolgt ist…
Sie müssen sich in ihren Expartner hineinversetzen: Er hat ja die Beziehung zu Ihnen beendet, obwohl es noch eine körperliche Anziehungskraft zwischen euch gegeben hat. Ist das leidige Sexthema Dreh- und Angelpunkt eurer Problematik gewesen, wird er sexuell auch noch weiter auf Sie abfahren. Sollten sich Körperlichkeiten ergeben, wird er sie sicher sehr genießen, aber im Hinterkopf wird er Vorbehalte wälzen und darüber nachgrübeln, was das alles zu bedeuten hat. Da er weiß, dass Sie ihn zurück wollen, wird er glauben, dass er manipuliert werden soll, dass Sie ihn ködern wollen, und ganz Unrecht hätte er ja nicht. Wenn Sie jetzt zu schnell auf Neustart machen, wird er sich widersetzen, weil er den Eindruck hätte, dass er sich von Ihnen über den Tisch hat ziehen lassen. Sie müssen deshalb ihrem „Trennungssex“ unbedingt einen beiläufigen Anstrich geben: „Es“ ist einfach so passiert; zufällig, weil die Stimmung danach war; zu bedeuten hat das weiter nichts usw…

So in etwa wäre nämlich auch seine eigene Einstellung liebe Leserinnen, wenn er sich in schwacher Stunde von Ihnen hätte becircen lassen. Er würde das Ganze erst einmal „tiefer hängen“, nicht so bedeutungsvoll sehen, und vor allem nicht als Neustart der Beziehung interpretieren. Er hätte seinen Spaß an Ihnen bzw. mit Ihnen, und damit Schluss. Ich weiß, das klingt nicht gerade schmeichelhaft, aber so wäre es…

Um ihn aus dieser Spur herauszuhieven, müssten Sie sich seine Einstellung zu Eigen machen!!!

Das Eingerahmte oben müssen Sie sich sehr gut merken liebe Leserinnen; und auch die männliche Leserschaft! Es ist das psychologische Zentralthema vieler Verhaltensstrategien. Um eine Änderung des Verhaltens bei einer anderen Person herbeizuführen, muss man die Verhaltensweisen bzw. die Motivationslagen dieser anderen Person übernehmen, bzw. so tun als ob. Wenn ich so bin wie sie (meine Partnerin), wird sie anders werden wie ich.
Oder: Wenn Sie der erotischen Begegnung mit Ihrem Ex eine besondere Bedeutung beimessen (in Richtung Neustart), wird er diese Bedeutung verneinen und herunterspielen. Sehen Sie selber das Ganze aber als unverbindlich und als nicht der Rede wert an, könnte es sein, dass Ihr Ex mit der Zeit wieder tiefere Gefühle und Begehrlichkeiten entwickelt. Allerdings dürfte er sich Ihnen dabei nie vollkommen sicher sein…Das ist der springende Punkt! Ich werde das weiter unten noch einmal ansprechen.

Ich weiß, dass es schwierig für Sie wird, in so einer Konstellation mit ihrem Ex ins Bett zu gehen, da das bedeutet, noch verletzlicher zu sein als sonst und noch verzweifelter zu lieben. Dies wäre aber der Preis, um eine Option auf einen Neustart zu haben; einen Neustart, der weiter ungewiss wäre und auch noch bleiben müsste – vor allem von Ihrer Seite aus…

Er taucht wieder ab

An diesem Sonntagabend war Naomi jedenfalls gut drauf. Sie hatte einen gehörigen Zipfel Beziehungsmacht ergattert, als es ihr gelang, ihn erotisch zu betören. Aber der Katzenjammer folgte auf dem Fuße: Keine liebevolle SMS oder Mail am nächsten Tag, kein Anruf, nichts. Abends war Sie in Tränen aufgelöst, wegen „diesem Idioten“, dem sie „gestern alles gegeben hatte“ und dessen Resonanz darauf gleich null gewesen ist.
Sie beruhigte sich erst, als ich anmerkte, dass ich sowieso nicht geglaubt hatte, dass er eine liebevolle SMS auf ihre Arbeit schickt. Nie würde sein Stolz das zulassen; durchaus zu Recht nicht. Würde er sich nämlich so leicht wieder einfangen lassen, würde er vor sich dastehen wie ein Depp; und auch vor ihr. Mit seinem Einlassen auf Sex hatte Sven, mit einem Schlag, eine riesen Portion Macht verspielt. Das verspürte er intuitiv und deshalb konnte er sich nicht zu einer Reaktion entschließen, wohl wissend, dass sie darauf wartet. Er wäre ihr gegenüber dann nur noch weiter abgesackt…

Liebe Leser, ich habe es mehrfach schon betont: In der Analyse klingen diese Erläuterungen nüchtern und kalkuliert, das ist unvermeidbar. Im täglichen Miteinander sind dies unbewusste Abläufe, über die sich keiner je vertiefter seine Gedanken macht. Würden wir Sven fragen, warum er seiner Ex am „Morgen danach“ nicht einen lieben Gruß geschickt hat, würde er vermutlich ratlos dreinblicken und keine Erklärung wissen. Seine Motivationslage war einfach nicht danach. Wahrscheinlich würde er sagen, dass er es schlicht und einfach vergessen hatte…
Sein unbedachtes Nichtreagieren war aber „sehr geschickt“, hatte es doch der aufgewühlten Gefühlswelt unserer Naomi noch einen extra herben Schlag versetzt. Dieses tränenreiche Wütendsein ließ sie leiden wie einen Hund – aber ihre Leidenschaft verstärkte es noch mehr.
Würde Sven jetzt vor lauter Begeisterung einen Handstand nach dem anderen machen, hätte sie ihn vollkommen unter ihre Kontrolle gebracht. Obwohl es im Moment ihr sehnlichster Wunsch ist, wieder mit ihm zusammen zu sein, wäre schon bald die alte Leier wieder da. Sie würde sexuell abermals ablaschen, sobald Dramatik, Trennung und Aufregung verschwunden wären – und der bleierne Alltag sich wieder eingeschlichen hätte…

Liebesgefühle sind nicht für ewig

Anmerkung: Leider bin ich der Überzeugung, dass dies eines Tages sowieso wieder passieren wird 🙁 ! Die beiden kannten sich seit fünf Jahren. Der Zeitraum für die romantische Liebe scheint bei uns Menschen auf drei, vier Jahre begrenzt zu sein. Danach hört das mit der Liebe einfach auf oder wird weniger…
Andererseits scheint die Selbstverständlichkeit mit der viele ihre Partner sehen, sie vergessen zu lassen, wie wichtig sie doch sind. Beendet der Andere von heute auf morgen die Beziehung, lässt uns der Schock der Unmittelbarkeit manchmal tiefe Gefühle erleben. Der Verlust, die ohnmächtige Wut und die plötzliche Einsamkeit können eine starke Sehnsucht auslösen, die große Liebesgefühle erzeugen kann…
Manche lieben einen „alten“ Partner dann wieder wie am ersten Tag. Aber die Paarzeit – die von der Natur vorgegebene Liebeszeitspanne – ist trotzdem vorüber. Schwierigkeiten und Probleme werden erneut ihren Einzug halten, und dann kann es der Andere sein, der diesmal das Handtuch wirft oder sich rettungslos neu verliebt. Finden sich zwei im reiferen Alter, sind diese Abläufe weniger drängend, als bei Jungen, die noch in ihren Zwanzigern sind.

Nun, für Naomi spielt das jetzt alles keine Rolle! Unablässig quälen sie Gedanken, wie es wohl weiter gehen wird. Wird er sich melden? Wenn ja, wann? Wie sollte sie reagieren, wenn er sich die ganze Woche über nicht meldet?
Dürfte sie sich bei ihm melden? Dürfte sie ihn jetzt, nachdem was passiert ist, nach einem Treffen fragen oder ginge das schon zu weit? Fragen über Fragen…

Oft ist abwarten die beste Strategie

Um es kurz zu machen: Sie sollte sich nicht melden und nicht fragen; nicht in dieser Woche und nicht in der nächsten. Wie Sie sich ja sicher erinnern, habe ich an anderer Stelle dieses E-Books ausführlich beschrieben, dass Verlassende die Vorstellung entwickeln müssten, dass ihre Expartner sich entliebt haben bzw. dass sie gerade dabei sind. Nur wenn sie das glauben würden bzw. sicher wüssten, hätten sie die Macht komplett über ihre Expartner verloren. Die sich ihrer „Machtstellung“ beraubten, würden sich dann verstärkter und schmerzvoller ihrer eigenen Gefühle bewusst – sofern Reste davon noch irgendwo im Keller schlummern…
Oft fällt der Entschluss schwer initiativ zu werden oder es sein zu lassen. Auch ich bin mir nicht immer voll im Klaren darüber, was ich einer Klientin oder einem Klienten raten soll. Manchmal weiß man es einfach nicht, und dann ist es besser abzuwarten, was weiter geschieht, bzw. wie die oder der Ex sich weiter verhalten wird…

Bei Naomi jedenfalls war ich mir ganz sicher: Sie darf jetzt auf keinen Fall hinter ihm herlaufen, wie sie es schon vor Wochen einmal getan hat. Auch wenn ihr Sven ein Verlassender zweiter Ordnung sein sollte, dürfte sie das jetzt nicht tun, nachdem was zwischen den Beiden war. Er müsste jetzt derjenige sein, der initiativ wird. Und er wurde es. Am Mittwoch schrieb er eine Mail, wie seine Tage so waren; wie es beruflich so gelaufen ist usw. Der letzte Satz aber war das Kernstück seines Schreibens: „Sonntagabend, das war echt sehr schön mit Dir.“
Dieser eine Satz machte es aus. Er war die Botschaft. Er signalisierte, dass das Spiel in die nächste Runde gehen konnte. Jetzt konnte sie reagieren: „Bla, bla, bla“, über ihren Tag und dann am Schluss: „Ja, der Sonntag war echt wunderschön!“
Es ist wichtig liebe Leser, dass Sie nachfühlen können, wie man so ein Spannungsfeld erzeugen kann (oft einfach durch abwarten), und wie es wirkt. Diese Strategien können ja nicht durchinszeniert werden bis in den Schlusspunkt; dies wäre langweilig, öde und völlig unkreativ. Diese Strategien sind dynamisch und lebendig, wie die Situationen selber, auf die sie Einfluss nehmen wollen. Das Lebendige entspringt einer gewissen Unvorhersehbarkeit, wie sie vielen zwischenmenschlichen Situationen anhaftet, ganz besonders dann, wenn es um die Liebe geht. Das heißt derjenige, der eine Verhaltensstrategie einsetzt, handelt nicht auf Knopfdruck, wie ein emotionsloser Roboter, sondern er fiebert mit, weil der Ausgang ungewiss ist…

Für kurze Zeit ausgeglichen

„Ja, der Sonntag war echt wunderschön“, dieser Schlusssatz von Naomis Mail ist die Bestätigung von Svens Aussage; sie enthält unbewusst die Botschaft, das „Schöne“ wiederholen zu können.
Die Beziehung der Beiden ist an dieser Stelle ihrer Entwicklung einigermaßen ausgeglichen: Naomi ist von ihrer Verweigerungshaltung abgerückt, was Sex anbelangt. Sven ist von seiner starren Es-Ist-Schluss-Haltung abgerückt, weil er sich von ihr hat verführen lassen. Jeder hat seine Haltung dem Anderen gegenüber etwas korrigiert. Die Balance ihrer Beziehungskräfte ist aber alles andere als stabil. Schon ein falsches Wort in einer Mail oder ein nicht mailen (von ihm) oder ein zu früh mailen (von ihr), kann die Kräftebalance dieser fragilen Verbindung wieder destabilisieren.

Am Freitag begann sich für Naomi so ein „Machtverlust“ abzuzeichnen: Ihre Gedanken kreisten um das Wochenende; was passieren wird bzw. was nicht passieren wird…In der Mittagspause wurde sie von heftiger Angst gepackt. Sie fürchtete, dass das Wochenende ohne ein Lebenszeichen von ihm vorübergehen könnte: Was, wenn sie heute nichts von ihm hört und morgen nichts und übermorgen auch nichts… Im Geiste sah sie ihn mit seinen Kumpels durch Bars und Discos ziehen, auf der Suche nach einer neuen Liebe…

Sie sollte nah und fern zugleich sein

Diese Bilder waren so eindrücklich und so Verlustangst auslösend, dass sie ihn am liebsten gefragt hätte, ob sie nicht das Wochenende zusammen verbringen könnten.
Sicher wird vielen Lesern unverständlich sein, warum sie das nicht machen sollte. Schließlich sind die Beiden ja seit Jahren zusammen und vor ein paar Tagen hatten sie noch leidenschaftlichen Sex miteinander. „Also was soll das? Wenn ihr danach ist, soll sie ihn fragen und aus; unter erwachsenen Menschen muss so etwas möglich sein.“ Viele werden so denken. Oft erscheint etwas auf dem ersten Blick einfach zu sein, auf dem zweiten bedenklich und auf dem dritten unmöglich. So wie hier! Naomi steckt in einer psychologischen Zwickmühle: Um für ihren Sven wieder maximal attraktiv zu werden, müsste sie ihm nah und fern zugleich sein. Nähe wäre in diesem Fall körperliche Nähe. Sex war im letzten Jahr ein rares Gut bei den Beiden. Jetzt, wo ihre Lust wieder da ist, könnte sie ihn dadurch an sich binden; das ist das eine. Das andere das wichtig ist wäre Abstand. Durch ihn würde er keinen Druck fühlen (was seine Gefühle blockiert) und kleine Verlustängste könnten aufflackern (was seine Gefühle vergrößert), weil Abstandhalten auch bedeuten könnte, dass er nicht mehr ganz so wichtig für sie ist. Diese Prozesse werden aber in seinem Kopf nicht in Gang kommen, wenn sie ihm hinterher telefoniert und ihn um ein gemeinsames Wochenende bittet.

Noch einmal zum Mitschreiben: Durch heiße Liebesspiele soll sie ihn an sich binden, aber zugleich durch Abstandhalten Eigenständigkeit und Autonomie demonstrieren, sodass er die Vorstellung bekäme, in ihrem Leben nicht mehr die erste Geige zuspielen.

Wenn Sie das bei Ihrem Auserwählten schaffen, sehr verehrte Leserinnen, dann werden seine Gefühle für Sie in große Höhen steigen. Natürlich sollen, dürfen und können dann auch Sie Ihre Gefühle zeigen, sonst wäre ja was falsch an dem Ganzen. Aber Sie werden sehen: Je mehr er sich Ihrer wieder sicherer wird, desto mehr wird er seine Zuneigungsbekundungen wieder reduzieren ?…

Der Freitag und der Samstag jedenfalls waren die volle Katastrophe für Naomi. Die Warterei auf ein Lebenszeichen von ihm brachte sie fast um. Im Nachhinein erfuhr sie, dass er zu einem auswärtigen Fußballspiel gefahren war und mit seinen Kumpels dort die Nacht verbracht hatte. Am Sonntagabend meldete er sich endlich, sagte was von Sehnsucht und stand 20 Minuten später auf der Matte. Leidenschaft pur war angesagt…

Sven hatte in der Folgezeit ein prima Leben: Er genoss die Freiheiten mit seinen Kumpels, in seiner Bude konnte er ungestraft seine Klamotten verstreuen und mit seiner Freundin konnte er in die Kiste, wann immer er wollte. Aber Naomi wollte natürlich mehr; sie wollte wieder eine normale Beziehung mit ihm und keine Affäre.

Sie schafft es nicht Verlustängste zu wecken

Hierbei war mein Coaching nicht erfolgreich, die Strategie an sich wäre es schon gewesen, aber es hatte an der Umsetzung gehapert. Sie schaffte es nämlich nicht jene Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu demonstrieren, die ihm signalisieren sollte, dass ohne ihn auch kein Problem für sie ist…

Ohne mir vorher Bescheid zu sagen rief sie ihn manchmal an, wenn sie sich in einer bedürftigen Stimmungslage befand. Hinterher tat es ihr leid und sie war zerknirscht, aber es war halt passiert, und das geschah oft. Sie hätte da ein, zwei gute Freundinnen mehr gebraucht oder einen Arbeitskollegen, der sie ins Kino ausführt, weil er so sehr auf sie steht. Naomi war viel zu viel auf ihren Ex fixiert. Telefonierte sie ihn an und war er nicht erreichbar und rief er nicht gleich zurück, fasste sie nach und machte Rabatz. Verständlich, aber so führte sie ihn immer wieder ihren großen „emotionalen Hunger“ vor Augen. Er hatte seinen Spaß mit ihr im Bett – was er lange vermisst hatte – aber Angst, dass sie ihm abhanden kommen könnte, hatte er wahrscheinlich nicht.

„Er taucht nur bei mir auf wegen der Kiste“, sagte sie mehr als einmal traurig zu mir. Um aus dieser Falle zu entkommen, müsste eine Frau ihre sexuellen Aktivitäten langsam nach unten fahren. Durch Ausreden, durch außerhäusige Unternehmungen, durch was weiß ich alles. Der Typ würde dann erkennen, dass sie dabei ist, ihm gegenüber eine Art freundliche Gleichgültigkeit zu entwickeln. Dass er nach und nach an Bedeutung verliert. Dass der Sex mit ihm zwar nett ist, aber ihre Situation trotzdem nicht allzu rosig ist, weil Sex allein nun einmal für eine Frau nicht der große Bringer ist…Diese Vorgehensweise liebe Leserinnen darf natürlich nicht durch gelegentliche Weinkrämpfe und Wutausbrüche unglaubwürdig werden.

Wenn er im Vorfeld durch heftige Körperlichkeiten auf den Geschmack gekommen ist, wird ein Zurückfahren Ihres Engagements große Liebe und Sehnsucht in ihm auslösen.

Dann hätten Sie ihn da, wo Sie ihn haben wollen. Dann sind Männer auch bereit mehr zu geben, dann kann es zu Heirat, Kindern und Familie kommen.

Aber der Schritt, die sexuellen Aktivitäten einzuschränken, beinhaltet auch ein großes Risiko: Steht er emotional nämlich nicht an dem Punkt, an dem er stehen sollte, wird er ärgerlich reagieren aber trotzdem nicht mehr Engagement zeigen. Er würde dann die Situation so hinnehmen wie sie ist, weil er irgendwann sowieso mit so was gerechnet hatte. Für ihn ist es dann aus und vorbei. Er hat dann einer verblichenen Liebe bis zuletzt noch das Abpressen können, was schön und aufregend für ihn war…

Unsere Naomi machte mit ihrer Sexbeziehung immer weiter, weil sie sich vor einer endgültigen Entscheidung fürchtete. Das Reduzieren der körperlichen Kontakte wurde von einem Monat auf den anderen aufgeschoben, weil die Angst übermächtig war, dass er dann alles hinwirft. Sie wurde wegen dieser ungünstigen Situation von Woche zu Woche unglücklicher… Dann kam die Hiobsbotschaft, die sie niederschmetterte: Sven hatte ein Mädchen kennen gelernt und sich verliebt. Zu Naomi wollte er deshalb nur noch freundschaftliche Kontakte halten.

Das war natürlich der Supergau! Als psychologischer Berater ist man immer auch betroffen, wenn für einen Klienten die Beratung so unglücklich ausgeht. Aber leider gibt es solche Misserfolge immer wieder. Oft ist es eben nicht möglich eine zerbrochene Verbindung wieder auf Neustart zu polen. Aber bitte sehr verehrte Leserinnen und Leser, lassen Sie sich durch den skizzierten Fehlschlag nicht entmutigen, an ihrem Neustart zu basteln. Ich habe diesen Misserfolg aus didaktischen Gründen in mein E-Book aufgenommen, weil man sehr viel aus diesem Beispiel lernen kann. Allerdings glaube ich im Nachhinein, dass, selbst wenn Naomi alle meine Vorgaben erfüllt hätte, sie wahrscheinlich trotzdem nicht die Chance gehabt hätte, mit ihrem Ex wieder eine feste Verbindung einzugehen.