Die Colitis ulcerosa – die Online-Sprechstunde

Colitis ulcerosa – chronische Darmerkrankung

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Gerda sitzt bei ihrem Gastroenterologen und wartet. Wieder so ein unangenehmer Termin von dem sie hofft, dass er schnell vorbei geht. Gerda leidet an einer chronischen Entzündung des Dickdarms – Colitis ulcerosa genannt – schon seit elf Jahren. Eigentlich geht es ihr ganz gut – sie hat eine Remission – wie es im Mediziner-Deutsch heißt. Seit einem dreiviertel Jahr macht ihre Erkrankung eine Pause.

Sie ist heute hier um eine Darmspiegelung hinter sich zu bringen, wie jedes halbe Jahr. Das ist immer aufregend, weil ihr Darm nach bösartigen Entwicklungen abgesucht wird – Darmkrebs ist das Schreckgespenst. Colitis ulcerosa Patienten haben ein viel höheres Risiko als Darmgesunde daran zu erkranken, weil die chronischen Dickdarmentzündungen nicht selten diese bösartige Komplika- tion entwickeln.

Beim Zurücklegen der Frauenzeitschrift fällt ihr Blick zufällig auf die große graue Tafel, die an der Wand mitten im Wartezimmer hängt und auf die sie beim Eintreten gar nicht geachtet hat. Sie fängt an zu lesen und es ist ihr, als würde man den Boden unter ihren Füßen wegziehen: Dr. Müller, ihr Arzt und Vertrauensmann – dem sie soviel verdankt – der ihr, in ihrer schwersten Zeit, mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat, viel mehr als man es heutzutage von einem Arzt erwarten kann, gibt seine Praxis auf – in drei Monaten. Er geht als Privatdozent an die medizinische Hochschule Berlin. Unfassbar für Gerda – sie selber lebt in einer Kleinstadt in Bayern. Welch eine Katastrophe!

Am nächsten Tag ist sie mit ihrer Schwägerin zum Shoppen im Einkaufszentrum unterwegs; ihr geht es nicht besonders gut; sie hat vergangene Nacht kaum geschlafen und fühlt sich heute schlapp und kaputt. Eigentlich wollte sie absagen, aber Gerda ist nicht der Typ, der ein Versprechen nicht einhält – zumal ihre Schwägerin erst eine Brustkrebsoperation hinter sich gebracht hat und dringend etwas Abwechslung braucht, um auf andere Gedanken zu kommen.
Als sie in der Cafeteria sitzen merkt sie, dass mit ihrem Bauch etwas nicht stimmt. Sie verspürt ein Leiern und Grimmen und hat das Bedürfnis die Toilette aufzusuchen – gerade noch rechtzeitig. Die „krachende“ Stuhlentleerung sagt ihr alles – bis an die Klobrille hinauf reichen die roten Spritzer. Jetzt ist es passiert – die Remission ist vorbei – die Colitis ist zurückgekehrt – mit aller Gewalt. Packweise entnimmt sie dem Spender Papierhandtücher um das Klo zu säubern…

Colitis ulcerosa nicht psychogen

Die Colitis ulcerosa oder auch ulcerative Colitis genannt, ist streng genommen keine psychosomatische Erkrankung, wie man heutzutage weiß. Mediziner zählen sie zu den Autoimmunkrankheiten, also zu jenen Körperstörungen, bei denen das Immunsystem außer Kontrolle gerät und zwischen Freund und Feind nicht mehr richtig unterscheiden kann.

Autoimmunstörungen gibt es eine ganze Reihe – Multiple Sklerose zählt z. B. dazu und auch die jugendliche Form der Diabetes. Immunfaktoren, eigentlich von der Evolution dafür geschaffen Krankheits- erreger zu identifizieren und unschädlich zu machen, richten sich gegen Zellstrukturen des eigenen Körpers und zerstören sie. Heftige Entzündungsreaktionen sind die Folge. Wie im Einzelnen das Ganze bei der Colitis ulcerosa abläuft liegt noch im Dunkeln. In jüngerer Zeit wurden Genveränderungen festgestellt, die maßgeblich am Auftreten einer Colitis ulcerosa Erkrankung beteiligt sein sollen.

Ich führe diese Erkrankung auf meiner Psychosomatik-Seite deshalb auf, weil erwiesenermaßen die Psyche des Erkrankten bei der Colitis ulcerosa eine große Rolle spielt – beim Ausbruch der Krankheit und bei ihrem weiteren Verlauf. Die seelische Seite entscheidet – vielleicht unterschiedlich bei jedem Einzelnen – über das Erreichen einer Remission und deren Dauer.

Aber: Eine Colitis ulcerosa ist derzeit nicht heilbar – mit keinem medizinischen Verfahren nicht und mit einem psychotherapeutischen auch nicht.

 

Sollten Sie – verehrte Leserinnen und Leser – an einer Colitis ulcerosa erkrankt sein, ist es wichtig für Sie, dass Sie, neben den überlebensnotwendigen Medikamenten, die ihnen Ihr Arzt verordnet und etwaigen Ernährungstipps, die hilfreich sein können, auch ihre Psyche als maßgeblichen Faktor mit in Betracht ziehen.

Es gibt genug gute Mediziner die, von der praktisch-pragmatischen Seite aus gesehen, die Symptome dieser Erkrankung mit den besten Medikamenten – die heute zur Verfügung stehen – angehen; die aber, von ihrer ganzen Denkrichtung her, seelischen Einflüssen bei dieser Erkrankung keine Bedeutung beimessen und es deshalb unterlassen, ihre Colitis Patienten in diese Richtung zu informieren. Vertrauen Sie darum ihren Schulmediziner diesbezüglich nicht einhundert Prozent. Obwohl eine Colitis ulcerosa nicht psychogen bedingt ist, also nicht allein von seelischen Komponenten verursacht und unterhalten wird – hat ihre Persönlichkeit und die Art und Weise, wie Sie mit dieser Krankheit umgehen bzw. wie Sie mit ihr leben, einen großen Einfluss auf den Krankheitsverlauf.

Wenn die Persönlichkeitsmerkmale die ich anführe, auch auf Sie zutreffen, – in einem weiteren Sinne, – suchen Sie sich einen Psychotherapeuten, um daran zu arbeiten. Seien Sie versichert – es wird sich für Sie lohnen!

Colitis ulcerosa Persönlichkeit

Natürlich ist die Aussage in der Überschrift oben etwas zu dick aufgetragen. Ein stringenter Zusammen- hang einer ganz spezifischen Persönlichkeitsstruktur und dem Auftreten einer Colitis ulcerosa ist sicher nicht gegeben. Allerdings existieren Untersuchungen die belegen, dass Colitis ulcerosa Patienten in einem höheren Maße Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die eine gewisse Übereinstimmung zeigen. Dies berechtigt zu der Annahme, dass bestimmte seelische Dispositionen existieren – nicht bei allen Erkrank- ten – die dieser chronischen Krankheit Vorschub leisten.

Gerda – unser Beispiel – ist so ein Fall: Ihr erster Colitis ulcerosa Schub ereignete sich im Alter von 26 Jahren. Ihr Verlobter, den sie noch im gleichen Jahr heiraten wollte, erlitt damals einen Motorradunfall und starb – nach vier Wochen im Koma. Kurz nach seinem Tod entwickelte Gerda Verdauungsbeschwerden: Blähungen nach dem Essen, Aufstoßen, schmerzhaften Stuhldrang. Ihr Stuhl blieb zuerst geformt und hart bis zur Verstopfung, enthielt aber im geringen Umfang Blutbeimengungen. Erst später traten weiche bis durchfallartige Stühle auf, die stark mit Blut vermischt waren.

Eine Colitis ulcerosa kann kontinuierlich verlaufen oder schubweise. Gerda hatte immer dann Remissions- phasen, wenn sie sich in einer guten seelischen Verfassung befand. Traten Krisen in ihr Leben, denen sie sich nicht gewachsen fühlte, verstärkten sich die Symptome während einer aktiven Krankheitsphase oder ein neuer Schub trat auf.

Der angekündigte „Verlust“ ihres Arztes war so eine Situation – er hatte Gerda in ihren Grundfesten erschüttert, einfach auch deshalb, weil sie glaubte, nie, nie mehr im Leben so ein Goldstück von einem Arzt zu finden, wie es ihr Dr. Müller war. Die Angst die sie plötzlich überfiel, ihre Gesundheit bzw. ihre Krankheit bei einem anderen Arzt vermeintlich nicht in so guten Händen zu wissen, löste den Colitis ulcerosa Schub bei ihr aus.

Schlüsselpersonen spielen Hauptrolle

Eine oder zwei Personen spielen als Schlüsselpersonen im Leben eines Colitis ulcerosa Patienten eine zentrale Rolle. Zu diesen Schlüsselpersonen unterhält der Colitis ulcerosa Patient eine sehr enge symbiotische Beziehung, die man auch unter dem Begriff „emotionale Abhängigkeit” einordnen könnte. Dieses Muster ist aus der Kindheit übernommen und entstammt der Mutter-Kind-Beziehung.

Mütter von Colitis ulcerosa Patienten werden sehr häufig als dominant bis herrschsüchtig beschrieben, die in einer überbetonten Weise Kontrolle über ihre Kinder ausüben. Diese Frauen können geschäftstüchtig, aktiv und zupackend erscheinen, doch eine tiefe Unzufriedenheit mit sich selber durchzieht ihre ganze Persönlichkeit – eine Unzufriedenheit, die diese perfektionistischen Tendenzen nur schwach verhüllen können. Die hohen Erwartungen die solche Mütter an sich selber stellen, stellen sie auch an ihre Kinder – diese können sie aber genauso wenig erfüllen wie die Mutter.

Es fällt solchen Müttern schwer ihren Kindern Liebe zu geben. Vor allem weibliche Colitis ulcerosa Patienten beschreiben ihre Mütter als streng, kühl, lieblos und bestrafend. Kinder erleben sich deshalb als klein und minderwertig – ihre Mütter mit den unerfüllbaren Ansprüchen jedoch als omnipotente Überwesen.

Da Kinder sich in so einer Erziehungssituation schwer tun ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, fühlen sie sich einem Leben außerhalb der Einflusssphäre dieser Übermütter oft nicht gewachsen. Die Konstellation Angst und Abhängigkeit verhindert bei ihnen jenen emotionalen Reifeprozess, der nötig wäre, um auf eigenen Füßen zu stehen. Colitis ulcerosa Patienten leiden in der Regel an einem lädierten Selbstwertgefühl, verbunden mit der Angst „es alleine nicht schaffen zu können”; dies zwingt sie nach Personen (Schlüsselfiguren) Ausschau zu halten, an denen sie sich anlehnen können und die sie versorgen.

Verlustängste schieben Colitis an

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Sie ist verzweifelt… ©#CNF/ fotolia.com

Treten in der Beziehung eines Colitis ulcerosa Patienten zu seiner Schlüsselfigur Konflikte auf, geht es für diesen um alles oder nichts – da er einen Verlust dieser Beziehung oder schon die Vorstellung davon, als Bedrohung der eigenen Existenz erlebt. Es ist ganz klar, dass die Beziehungen eines Colitis ulcerosa Kranken zu seinen Schlüsselpersonen Problem beladen sind: Er muss – um diese Beziehungen nicht zu gefähr- den – aggressive Regungen bei sich ausbremsen und zurückhalten; darin sind Colitis ulcerosa Patienten schon seit früher Kindheit geübt – darin sind sie Meister.

Diese Aggressionshemmung ist typisch für viele Colitis ulcerosa Patien- ten – aber nicht für alle! Sie wird noch ergänzt durch die Neigung zu depressiven Verstimmungen, mit denen sie reagieren, wenn ihre Kom- pensationsmöglichkeiten versagen und Objektverluste nicht abwendbar sind oder nicht abwendbar erscheinen.

Angesichts des drohenden Verlustes einer ihrer Schlüsselbeziehungen verfällt ein Kolitis-Patient in einen Zustand der Hilf- und Hoffnungslosigkeit, der mit dem Gefühl des Aufgebens einhergeht.
Dieses emotionale Reaktionsschema aktiviert sich beim Colitis ulcerosa Patienten auch bei anderen Gelegenheiten: Der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Kündigung ihrer Wohnung können diese Menschen in jenen rat- und hilflosen Zustand bringen – der für sie so gefährlich ist!

Diese Situation war bei Gerda – unserem Patientenbeispiel – gegeben, als sie durch die Ankündigung im Wartezimmer erfuhr, dass ihr geliebter Doktor Müller seine Praxis aufgeben wird. Gefühle des Ausgeliefertseins, des Nicht-Mehr-Ändern-Könnens, der Sinnlosigkeit usw. haben bei Colitis ulcerosa anfälligen Personen einen verheerenden Einfluss auf das Immunsystem, das bei ihnen dann dazu neigt, sich gegen den eigenen Körper zu richten.

Allgemein ist der immunologische Status eines jeden Lebewesens sehr stark von emotionalen Faktoren abhängig. Depressive Verstimmungen, chronische Angstzustände und Gefühle der Hilflosigkeit beinträch- tigen die Leistungen des körpereigenen Abwehrsystems. Deshalb sind jene Lebewesen für die „Natur am wertvollsten” und für die Evolution am „erstrebenswertesten”, die erst gar nicht in solche Lebenskrisen geraten.

Lebewesen die unter chronischem Dauerstress leiden, weil sie Lebensprobleme nicht meistern können, sind für die Natur nichts weiter als unbrauchbarer Ausschuss – deren Gesundheit als nicht besonders schützenswert erscheint.

 

Daher existieren auch keine sinnvollen Anpassungen, die die toxische Wirkung von chronischem Stress auf den Körper verhindern; wird ein Lebewesen dadurch geschädigt oder verliert es sein Leben, ist das für die Natur ohne Belang, weil sie sowieso „keinen Sinn” darin sieht, derart „unfähige Kreaturen” am Leben zu erhalten. Chronischer Stress schädigt deshalb die Körper aller Lebewesen – mehr oder weniger.

Stress unter Mäusen

Wenn eine Mäusepopulation in einem bestimmten Gebiet eine ausgezeichnete Existenzgrundlage hat, was die Ernährungsmöglichkeiten anbelangt, kann ein exzessives Populationswachstum einsetzen, das die Individuenanzahl dras- tisch ansteigen lässt. Nehmen wir an, ein Mäusegebiet ist durch natürliche Gegebenheiten so begrenzt, dass ein Abwandern nicht möglich ist und die Tiere gezwungen sind, auf engstem Raum miteinander leben zu müssen; unter den Nagern werden sich dramatische Ereignisse abspielen:

Die übernormale Individuendichte, die ein futterreicher und trockener Sommer hervorbringt, stellt für die Mäusepopulation insgesamt eine psychosoziale Stresssituation dar, an die die Tiere von der Evolution her nicht angepasst sind, weil so viele Mäuse in einem Gebiet nicht normal sind.

Die Natur „weiß”, dass dieser Zustand auf Dauer nicht tragbar sein wird, weil so viele Tiere im Normalfall keine Existenzgrundlage haben und die meisten, der im Sommer geborenen Mäuse, im Winter sowieso verhungern würden. Solche Erkenntnisse sind in den Genen der Mäuse als universales „Mäusewissen” gespeichert – über Hunderte von Millionen Jahren hat die Natur in alle Richtungen experimentiert, um diese Normen zu ermitteln. Deswegen kann sie die lustige und quirlige Gesellschaft sich selber überlas- sen, in dem sicheren Wissen, dass alles sich von selber normalisieren wird. Vegetatives Nervensystem und Immunsystem spielen die Schlüsselrolle bei diesem Regulativ – das ist auch bei uns Menschen nicht anders.

Da die Mäuslein sich ständig und bei allen Gelegenheiten über den Weg laufen, gehen sie sich untereinander gehörig auf die Nerven und überfordern dadurch ihr vegetatives Nervensystem. Sie werden reizbar und aggressiv, weil sie sich gegenseitig nicht mehr aushalten. Gequietsche, Gezeter und Beißereien sind an der Tagesordnung. Die Stresshormone im Blut aller Mäuse steigen steil an.

Trächtige Weibchen leiden unter dem Stress besonders: Ihre Föten sterben und werden von Körper- säften aufgelöst. Aber auch die schon Geborenen in den Nestern trifft es hart: Vor lauter Stress und Durcheinander hysterisch geworden, vergreifen sich die Mütter am eigenen Nachwuchs und fressen ihn auf; Anarchie und Chaos herrschen an allen Ecken und Enden.

Immunsystem als Exekutor

Antikörper

Antikörper ©Elena Pankova/ fotolia.com

Stresshormone im Blut, allen voran Cortisol, hemmen mit der Zeit die Leistungsfähigkeit des Immunsystems mehr und mehr. Die Folge: Viren oder banale Bakterien – oft im Darm – sehen ihre große Chance zur Vermehrung und nutzen sie. Bevor eine sich einstellende Futterknappheit die Mäuse verhungern ließe, sind viele an Infektionskrankheiten vorher gestorben – ausgelöst durch eigene innere Kräfte, die sich mit der gegeben Situation nicht anfreunden konnten.

 

Bei anderen Tierarten – die in der Fortpflanzungszeit Reviere besetzen – um die gekämpft werden muss, können sich ähnliche Prozesse abspielen: Hat im Schottischen Hochland der Hahn des Moorschneehuhns einen Revierkampf verloren, steht er schon mit einem Bein im Grab. Er probiert es vielleicht noch ein zweites Mal und dann vielleicht noch einmal – aber dann, wenn er es nicht geschafft hat – dann ist er bedient und am Ende. Als Zeichen seiner Niederlage verliert er die leuchtend roten Flecken links und rechts über den Augen; er wirkt blass, schwach und abgekämpft. Und wahrscheinlich fühlt er sich auch so.

Würde man ihn fragen können wie es ihm geht, würde er eine traurige Geschichte von nicht mehr Können und nicht mehr Wollen erzählen – von einer Hilf- und Hoffnungslosigkeit die ihn erfasst hat und einem Aufgeben auf der ganzen Linie. Sein Immunsystem – entwickelt um Mikroorganismen zu stoppen – reagiert auf der körperlichen Ebene genauso schwach und hilflos; unkomplizierte Darmbakterien können sich plötzlich explosionsartig vermehren und bringen den armen Hahn um – einfach deshalb, weil er es nicht geschafft hat, einen Platz im Leben zu ergattern.

Aggressionen richten sich nach innen

Viele Colitis ulcerosa Patienten tun sich schwer Gefühle auszudrücken, d.h. sie sind relativ abgeschirmt von ihnen – ein Schutzmechanismus gegen seelische Verletzungen, der bereits seit ihrer Kindheit existiert. Bei aggressiven Gefühlen tun sich die meisten ganz besonders schwer: Wut und Zorn sind gefährlich, weil sie das überlebenswichtige Band zu den Schlüsselpersonen des Colitis ulcerosa Patienten beschädigen könnten. Aggressiven Bestrebungen werden deshalb – im Allgemeinen – keine großen Enfaltungsmöglichkeiten eingeräumt.

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Sie weiß nicht mehr
ein noch aus… ©Jürgen Fälchle/ fotolia.com

Es ist nicht unrealistisch sich vorzustellen, dass angesichts von überwäl- tigend erlebten Lebensproblemen, die ein aggressives Anpacken erfordern würden, solche Personen eher geneigt sind aufzustecken, um sich in ihr Schneckenhaus zurückzuziehen, aber die dennoch – durch die Situation entfacht – Frustration und Wut entwickeln. Da sie sich nicht befriedigend mit ihrer Problematik auseinandersetzen können, fangen sie an sich zu verach- ten und ihre Wut auf sich zu lenken.

Aggressive Regungen – die auf die eigene Person zielen – könnten ein nicht optimal funktionierendes Immunsystem dazu bringen, den eigenen Körper zu attackieren.

Durch einen Fehler im Erbgut, der wahrscheinlich mehrere Gene bzw. Gen-Gruppen betrifft, hat das Immunsystem eines Colitis ulcerosa Patienten eine viel größere Störanfälligkeit als das eines Gesunden. Ich habe oben ja beschrieben, wie emotionale Ausnahmesituationen die Effektivität des tierischen Immunsystems modulieren können – beim Menschen funktioniert das im Prinzip genauso. Damit wollte ich zeigen, wie störanfällig der immunologische Status eines jeden Lebewesens von haus auf schon ist; jetzt kann man sich vorstellen was passiert, wenn die genetische Ausrichtung dieses komplexen Regulations- systems selber noch einen Fehler enthält.

Autoimmunerkrankungen gibt es eine ganze Reihe; was ihnen gemeinsam ist, ist die Zerstörung von gesundem Körpergewebe durch fehlgeleitete immunologische Faktoren. Diese sind aber bei jeder Autoim- munerkrankung auf andere „Zielzellen“ ausgerichtet. Bei der Colitis ulcerosa scheinen Zellbestandteile der Darmschleimhaut, normale Darmbakterien oder Stoffwechselprodukte von Darmbakterien, Zielstruk- turen der Immunreaktion zu sein. Wie auch immer, Autoimmunreaktionen aktivieren sekundär starke Entzündungsreaktionen in den Geweben, die zu großen Zerstörungen führen können.

Die pharmakologische Forschung setzt an dieser Stelle an: Immer neuere und bessere Medikamente werden entwickelt, die immer spezifischer und selektiver in diese Entzündungsprozesse eingreifen – um sie auszuschalten. Auch Immunsuppressiva stehen schon seit längerem zur Verfügung, um ein wild ge- wordenes Immunsystem zu zügeln und zu disziplinieren – jedoch um den Preis einer allgemeinen Schwä- chung und Funktionseinschränkung.

Darm reagiert emotional

Alle höheren Lebewesen reagieren mit Veränderungen ihrer Darmtätigkeit auf Ereignisse, die sie bewegen. Hunderte von Millionen Jahre währende Entwicklungsvorgänge und Anpassungsprozesse – auf der körperlichen und der seelischen Ebene – sind dem vorangegangen. Ein „Ziel” der Evolution war darauf gerichtet, Prioritätslisten von Verhaltensweisen zu erstellen, samt dazugehöriger seelisch-vegetativer Reaktionen, um in jeder nur denkbar möglichen Situation richtig reagieren zu können.

Stellen wir uns z. B. eine hungrige Gazelle in der afrikanischen Savanne vor, die folgendes Dilemma zu bewältigen hat: Sie hat gerade eben in der heißen, verbrannten Graslandschaft eine Stelle mit saftigen Kräutern entdeckt; sie ist sehr hungrig und möchte sofort mit dem Fressen beginnen. Jetzt bemerkt sie eine weibliche, brünstige Gazellen-Frau – ganz in der Nähe – die anscheinend alleine ist und die „zu haben“ wäre. Um die Verwirrung noch zu steigern, erscheint in der Ferne ein Rudel Löwen, das sich in eindeutiger Absicht nähert.

Prellsprung einer Gazelle, wenn sich Löewen nähern

Prellsprung einer Gazelle, wenn  Löwen nahen ©JohanSwanepoel/ fotolia.com

Es ist jedem klar, wie die Gazelle sich verhalten wird: Sie wird hastig ein paar Gräser rupfen, dabei ständig die Löwen im Auge behalten. An Sex denkt der Gazellenbock jetzt überhaupt nicht mehr, weil es unter diesem Risiko tödlich wäre, sich darauf einzulassen. Die Löwen rücken immer näher – der Hunger scheint verflogen – der Sexualtrieb sowieso und plötzlich startet der Gazel- len-Mann zu einem beeindruckenden Sprint, der ihn aus der Gefahrenzone bringt.

Das ordnende Prinzip das dahinter steckt ist klar: lebenserhaltendes Verhal- ten hat Vorrang. Was in der Liste oben steht hat die Evolution in Millionen- fachen Experimenten ermittelt.

Die Verhaltensweisen des Futtersuchens und der Nahrungsaufnahme, sowie die Verdauungstätigkeiten von Magen und Darm sind in der Regel auf jene Situationen beschränkt, in denen ein Tier von keinen Gefahren bedroht ist. Diese Bedrohungen können – wie im Beispiel oben – ein Fressfeind sein, oder ein arteigener Konkurrent, der auftaucht und Weibchen oder Revier für sich in Anspruch nehmen möchte. Tritt der Gefährdungsfall ein, wird Futteraufnahme und Verdauung komplett ausgesetzt. Die Produktion von allen Verdauungssäften wird blockiert – weil jetzt für sie kein Bedarf besteht.

Futter, das in großen Mengen bereits im Magen gelandet ist, wird ausgeworfen, weil es hinderlich wäre, bei einem Kampf oder einer überstürzten Flucht. Für den Darm gilt das gleiche: Durchfallartige Entlee- rungen sorgen dafür, dass jeder Ballast abgeworfen wird. Diese physiologischen Anpassungen existieren in der einen oder anderen Art bei allen Tieren – und ganz wichtig für unser Thema Colitis – auch beim Menschen.

Volksmund weiß Bescheid

Für die wichtigsten psychosomatischen Manifestationen die unseren Körper betreffen, hat der Volksmund Redewendungen gefunden, die überraschend exakt den Zusammenhang zwischen einer Emotion und einer körperlichen Reaktion zum Ausdruck bringen. Jemand hat Schiss vor der Prüfung oder hat Die Hosen voll oder ist allgemein ein Hosenscheißer. Die Aufforderung Schei.. auf ihn ist als ein Akt herab- würdigender Aggression zu interpretieren. Diese Redewendungen drücken aus – was wir alle sowieso schon wissen: Angst führt zu Stuhlgang. Der Sympathikus-Nerv, einer der beiden Nervenäste des Vegetativums, reagiert sehr stark auf Angst und macht den Darm schnell.

Sch…en hat mit Aggression zu tun

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Der ist alles scheiß-
egal… ©Andrey Armyagov/ fotolia.com

Aber auch das Gegenteilige kann eintreffen – nämlich dass Angst den Stuhlgang bremst. Körperliche Ausscheidungen dienen bei sehr vielen Säugetieren dazu ein Revier olfaktorisch zu markieren und dadurch in Besitz zu nehmen. Wer seinen Hunderüden Gassi führt, kennt das starke Bedürfnis dieser Tiere, Duftmarken abzusetzen und zu verbreiten.

Dieses Markieren muss aber mit einem gewissen Selbstbewusstsein ver- knüpft sein – mit einer Ichstärke – sonst klappt es nicht. Wenn Säuge- tiere auf ihrer Wanderschaft Reviere von Artgenossen passieren müssen, tun sie dies so unauffällig wie möglich, um keinen Streit zu entfachen. Wegen der Kothaufen an allen Ecken und Enden weiß der Eindringling, dass er sich im Feindesland befindet. Innehalten und selber einen großen Haufen absetzen – ist das Letzte – was er tun würde. Die Angst vor dem Revierinhaber unterdrückt bei ihm den Stuhlgang und lässt ihn so schnell als möglich wieder verschwinden.

Beim uns Menschen sind solche Reaktionsmuster ebenso bekannt: Die starke Verstopfung, die manche regelmäßig befällt, wenn sie auf Reisen sind, ist auf diesen neurophysiologischen Reflex zurückzuführen. Ebenso die Unmöglichkeit des Stuhlgangs armer Verwandter – die im Hause des reichen Schwagers zu Gast sind.

Zusammengefasst könnte man sagen, dass wir Menschen einen verstärkten Stuhldrang immer dann verspüren, wenn wir in Situationen geraten, die uns existentiell bedrohen und wir zur Verstopfung neigen, wenn wir uns klein und minderwertig fühlen.

Genetische Darmempfindlichkeit ausschlaggebend

Um das eben Gesagte in einen Kontext zum Kolitis-Patienten zu bringen: Der Colitis ulcerosa Erkrankte weist einen Gendefekt auf bzw. eine Immunstörung, die seinen Darm zum Ziel einer immunologischen Attacke macht. In Zeiten einer Remission kommt der Krankheitsprozess zum Stillstand; eine besondere Empfindsamkeit der Darmschleimhaut – verursacht durch den immunologischen Prozess – besteht jedoch latent weiter. Treten emotionale Ausnahmesituationen auf, die zusätzlich als Reiz auf die Darmwand einwirken, kippt das labile Gleichgewicht und der latente Entzündungsreiz manifestiert sich als Colitis-Schub.

Die genetische Veranlagung eine Colitis ulcerosa zu entwickeln hat sicher eine gewisse Bandbreite, d.h. ist der Gendefekt der das Immunsystem betrifft besonders groß, wird sich in jedem Fall eine Colitis ulcerosa entwickeln – unabhängig von der Persönlichkeit des Betroffenen. Je kleiner der Gendefekt ausfällt umso ausschlaggebender ist die Rolle, die die Persönlichkeit dabei spielt; sie entscheidet dann, ob sich die Krankheit manifestiert oder nicht; ob eine Remission bleibt oder – ob ein neuer Schub kommt.

Schlussbemerkung

Sehr verehrter Colitis ulcerosa Patient,
Es kann aufgrund des oben Gesagten sein, dass Sie sich mit den Persönlichkeitsmerkmalen eines Colitis-Kranken, wie ich sie angeführt habe, nicht identifizieren können. Ihre Colitis ulcerosa ist dann vor allem über die Genveränderung definiert und sehr wahrscheinlich nicht durch psychotherapeutische Verfahren zu beeinflussen. Die Behandlung ihrer Symptome wäre dann ausschließlich Sache einer optimalen Medikation.

Haben Sie sich jedoch zum Teil in meinen Schilderungen wieder erkannt, als eine Person, die sich gerne an Schlüsselpersonen anlehnt; die Führerpersonen als Beziehungspartner sucht und sich gerne unterordnet, auch wenn es manchmal nicht leicht ist; die schon Angst und Bauchweh bekommt, wenn es in der Beziehung mit ihren Schlüsselpersonen kriselt; die kaum aggressive Regungen verspürt und die ganz selten aus der Haut fährt; die mutlos und depressiv reagiert, wenn sie eine Niederlage erlitten hat; die in so einem Fall sich verkriechen möchte und nur noch schlafen will, damit alles möglichst schnell vorbei geht; die bei Verlusten vollkommen zusammenbricht und dann mit Gefühlen der Hilf- und Hoff- nungslosigkeit reagiert – aus denen sie kaum herauszuholen ist.

Wenn Sie solche Verhaltensweisen bei sich kennen und solche seelischen Verarbeitungsmechanismen haben und noch dazu an einer Colitis ulcerosa leiden, dann könnten Sie von psychotherapeutischen Verfahren profitieren oder vielleicht schon von einigen Beratungen.

Gelingt es Ihr Selbstbewusstsein anzuheben bzw. ihre Ichstärke zu verbessern, so dass Sie konfliktfähiger werden, wird es Ihnen leichter fallen, Wut und Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen; dieses könnte dramatische Effekte auf den autoaggressiven Mechanismus haben.

Möchten Sie sich von mir wegen der Problematik einer Colitis ulcerosa Erkrankung beraten lassen, schreiben Sie mir eine Nachricht von meinem Kontaktformular aus oder senden Sie mir eine Mail an: mail at beziehungsdoktor.de

Sollten sich für Sie Verständnisfragen zum Text ergeben, können Sie mir schreiben – ich werde sie Ihnen gerne beantworten. Weitere wichtige Informationen zum Thema Colitis ulcerosa erhalten Sie von vom Bundesverband für chronisch entzündliche Erkrankungen des Verdauungstraktes – DCCV- e.V (Deutsche Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigiung).