Mentale Adaptationen – evolutionäre Psychologie

Alle Lebewesen haben eine einzigartige Natur

sammlung

Die Artenvielfalt ist auf unserer Erde riesengroß / Bildmaterial: folia.com

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Auf der Seite über die körperlichen Anpassungen habe ich am Beispiel der Darwinfinken mit ihren unterschiedlichen Schnabelformen und am Beispiel der menschlichen Schweißdrüsen beschrieben, wie körperliche Merkmale durch das Wirken der Evolution sich herausbilden und das Design von Lebewesen dadurch einen Wandel erfahren kann. Auf dieser Seite nun geht es nicht um die körperlichen Merkmale sondern um die seelischen Eigenschaften von uns Menschen – um unser psychisches Design – um den Kern unserer Seele.

Adler, Elefanten, Menschen, Vogelspinnen, alle Lebewesen auf unserer Erde haben ein ganz bestimmtes Wesen, eine Natur, die nur ihnen zu eigen ist. Selbst sich sehr nahe stehende Arten, die verwandt miteinander sind, haben Verhaltensweisen, die sich etwas unterscheiden. Lebewesen müssen sich Futter beschaffen und nach geeigneten Sexualpartnern Ausschau halten; sie müssen ihren Nachwuchs betreuen und bei Gefahr verteidigen; Tiere und Menschen müssen Kämpfen, wenn es eine Situation erfordert und die Flucht ergreifen, wenn es nicht anders geht. Um diese Verhaltensweisen ausführen zu können ist Mobilität angesagt – Tiere und Menschen müssen sich bewegen können. Pflanzen – die andere Lebens- form auf unserem Planeten – sind dazu nicht in der Lage. Die Evolution hat ihnen andere Strategien mitgegeben, um sich im Leben behaupten zu können; Strategien, die nicht auf dem Prinzip Mobilität beruhen.

Muskeln lassen Lebewesen reagieren

Die komplizierte Bemuskelung verlangt eine sensible Steuerung

Die komplizierte Bemuskelung verlangt eine sensible Steuerung ©York/fotolia.com

Bei Tier und Mensch sind es die Muskelfasern – jene hochkomplexen biochemischen Strukturen –, die Mobilität gewährleisten und Ortsver- änderungen ermöglichen. Durch den elektrischen Impuls einer Nervenfaser kommt es innerhalb einer Muskelzelle und auf ihrer Oberfläche zu komplizierten, physiologischen Prozessen. Das Resultat ist eine Längen–Änderung (Verkürzung) der faserigen Muskelbündel und – bei entsprechender Hebelwirkung – eine Bewegung von Körper- teilen.

Ausführende Organe benötigen jedoch immer eine gute und raffinierte Steuerung, die vorgibt, was sich wann und wie bewegen soll. Je sensibler dirigiert und gelenkt werden kann, umso differenzierter und effektiver kann der angestrebte Bewegungsablauf ausfallen. Das Zentralnervensystem der höheren Lebewesen erfüllt diese Aufgabe bravourös – dafür hat die Evolution es auch konzipiert. Seine motorischen Fasern, mit ihren unzähligen Verästelungen, durchziehen den Körper in einer Dichte, die der Verkabelung im Cockpit eines Air- busses entspricht.

Unser Gehirn – ein Supercomputer

Der „Zentralrechner” im Oberstübchen, mit seinen Tausenden von Untersystemen, ist der Angriffspunkt für Selektion und Evolution – was die Programme zur Steuerung des Verhaltens anbelangt. Durch diese Einflüsse kann die „Hardware” einzelner Teilbereichen verändert werden, was Änderungen der „Software” bzw. des Verhaltens nach sich zieht.

Module bestehen aus komplexen Neuronenverbänden

Module bestehen aus komplexen Neuronen- verbänden ©alexfiodorov/ fotolia.com

Diese Teilbereiche des Gehirns – winzige Subsysteme – werden von Evolutionspsychologen als Module bezeichnet, in modellhafter Anlehnung an entsprechende Bauteile in der Elektronik. Jedes dieser Module hat eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Die einzelnen Bauteile reagieren immer dann mit Erregung, wenn Menschen in Situationen geraten, für die ein bestimmtes Modul sich zuständig fühlt.

So kann das Modul anspringen, das für die körperliche Unversehrtheit bei „Insektenangriffen” verantwortlich ist und als Sofortreaktion einen Schutz- reflex starten, wenn auf dem Handrücken einer Person eine Wespe gelan- det ist.

Oder: In Erregung geratene Module können mit einer gewissen Dring- lichkeit die Hauptzentrale alarmieren und so dafür sorgen, dass der Zentralrechner, mit seiner analy- tischen Denkfähigkeit, anfängt, sich über ein gewisses Problem verstärkt Gedanken zu machen, um möglicherweise eine Lösung aus den Hut zaubern zu können.

So kann ein inniges Gespräch, das meine Freundin vor meinen Augen mit einem fremden Mann führt, mein „Eifersuchtsmodul“in Schwung bringen; die „giftigen” Emotionen, die dabei hochkommen, können mich auf der Stelle zum Handeln zwingen oder zum verstärkten Nachdenken über meine Beziehung anregen.

Module regeln alles

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Diese Module regulieren bzw. gestalten praktisch das gesamte Verhalten des Menschen: Sie modulieren und filtern z.B. die optischen Reize, die über die Sehbahn das Gehirn erreichen und erstellen dabei eine Prioritätsliste der eingehenden Stimuli. Wenn Sie beim Autofahren einen Düsenjäger im Tiefflug registrieren und zeitgleich ein Kind, das im Begriff ist, unachtsam die Straße zu überqueren, wird ein Modul – oder auch mehrere –, Ihre visuelle Aufmerk- samkeit von dem Düsenjäger abziehen und auf das Kind fokussieren.

Module sind verantwortlich dafür, dass wir uns eine Muttersprache aneignen können. Kinder müssen zwar üben und lernen, die neuralen Strukturen im Gehirn sind aber auf all das vorbereitet und vorprogram- miert, und erleichtern dadurch das Ganze – soweit wie möglich. Manche sprechen von einem Sprachin- stinkt – den wir Menschen besitzen.

Andere neuronale Einheiten sind darauf geeicht, dass wir uns die Gesichter unserer Mitmenschen einprägen. Haben diese Module einen Defekt, haben wir das Problem, eine Bekanntschaft, die wir gemacht haben, beim nächsten Mal wieder zu erkennen. Männer, die diesen Defekt im späteren Leben erleiden, können sich das Gesicht ihrer Ehefrauen nicht mehr merken. Das Gute dabei ist: Jeden Tag haben sie eine neue Frau um sich herum Smilie.

Eine Fülle weiterer Module ist verantwortlich für Sexualität und Partnervorlieben, für aggressives und ängstliches Verhalten, für phobisch getönte Vermeidungsreaktionen ebenso, wie für Vorlieben und Abneigungen bei der Nahrungswahl usw. Module sind die „Hardware” unseres Gehirns; zuständig auch dafür, dass Eltern ihre Kinder lieben – die Väter allerdings in der Regel etwas weniger als die Mütter; und dass Männer manchmal ihre untreuen Frauen umbringen. Module sind Nervenstrukturen, die Verhaltensprogramme starten. Sie funktionieren wie die Tools beim PC,  sie sind Werkzeuge – von der Evolution geformt –, bestimmte Aufgaben zu erfüllen.

Sie sind aber nicht bloße Gedankenkonstrukte der Evolutionspsychologen, um in der Theorie entwickelte, komplizierte Sachverhalte anschaulich zu machen. Module existieren wirklich: Ihre stoffliche Komponente ist ein komplex ineinander verdrahtetes Konglomerat von Nervenzellen; manchmal sind es viele Millionen. Diese evolutionsbiologischen „Tools” existieren bei allen Vertretern einer Art gleichermaßen; sie gehören zur Natur eines jeden Lebewesens – sie sind die Elemente seines Wesenskerns.

Sie aktivieren sich spontan, in bestimmten Situationen, und sind unabhängig von bewussten Prozessen, die Anstrengung verursachen und Energie kosten. Sie sind selektiv auf die Lösung eines Problems gerichtet, haben aber auch die Fähigkeit – auf ein übergeordnetes Ganzes ausgerichtet –, bereichsüber- greifend mit anderen Einheiten zu kooperieren.

Die evolutionär psychologischen Mechanismen

Module, kleine und kleinste Funktionseinheiten des Nervensystems – die Hardware –, sind die neuroana- tomischen Strukturen, während die evolutionär psychologischen Mechanismen die Verhaltensprogram- me sind, die sie in Gang setzen – um Probleme zu lösen, die sich einem Tier oder einem Menschen in den Weg stellen. Diese Programme sind von der Evolution „erfundene” Verhaltensschemata, die im Durch- schnitt – über viele Millionen Jahre ausgetestet –, zur erfolgreichen Lösung eines speziellen Problems führen. Das Spezielle dieser Mechanismen, ihre Komplexität und ihre große Anzahl, bescheren uns Menschen eine ungeheure Variabilität von Verhaltensweisen.
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Diese genetischen Verhaltensdispositionen steuern aber unser Verhalten nicht auf Gedeih und Verderb, und dürfen es auch nicht, weil wir Menschen – als Kulturwesen – diese Uraltprogramme aus der Vergangenheit, zügeln und kontrollieren müssen. Evolutionäre Verhaltensprogramme determinieren nicht automatisch unser Verhalten. Sie erhöhen nur die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass in einer bestimmten Situation, dieses oder jenes Verhalten favorisiert wird. Wir können uns „willentlich” – aufgrund einer „zwischengeschalteten” anderen Emotionslage – von diesen archaischen Vorgaben distanzieren.

Allerdings ist eine gute Sozialisierungsphase während der Kindheit die Voraussetzung dazu; sie muss die Möglichkeiten schaffen, dass junge Menschen lernen, spontane und drängende Impulse außer Kraft zu setzen, um sie – zeitverzögert – durch vernünftigere Verhaltensweisen zu ersetzen. Dass diese Möglichkeiten zu lernen, viele von uns nicht hatten, sieht man jeden Tag aufs Neue, wenn man die Zeitung aufschlägt.

 

Ein anderes Problem ist, dass sich evolutionär psychologische Mechanismen immer in der Vergangenheit entwickeln. Im Normalfall funktionieren sie natürlich auch in der Gegenwart – wenn die Lebensumstände gleich geblieben sind. Tiere sterben z. B. immer dann als Arten aus, wenn sich ihre Lebensumgebung drastisch verändert und ihnen nicht genügend Zeit bleibt, mit einer genetischen Veränderung darauf zu reagieren. Der Mensch ist mit der paradoxen Tatsache konfrontiert, dass er selbst es ist, der seinen Lebensraum so radikal verändert – durch kulturelle Entwicklungen – die ein sagenhaftes Tempo vorlegen.

Satellit in Erdumlaufbahn

Satellit in Erdumlaufbahn ©JohanSwanepoel/ fotolia.com

Die kulturelle Revolution hat den Homo sapiens eine Fülle von Lebenserleichterungen beschert, die, unter dem Strich gesehen, ihn zur erfolgreichsten Tierart auf Erden gemacht haben. Was der Mensch aber bisher nicht geschafft hat, ist, eine Anpassung seiner evolutionär psychologischen Mechanismen ans moderne Leben zu erreichen. Die Mühlen dazu malen in Zeitlupe und benötigen Tausende von Generationen, um Ergebnisse vorzuweisen. So sind wir Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert in der skurrilen Situation, dass wir das Computerzeitalter mit einem Gehirndesign bewältigen müssen, das im Grunde genommen auf Steinzeitniveau stehen geblieben ist.

Wenn evolutionäre Psychologen nun herausfinden wollen, wie wir Menschen „ticken”, müssen sie sich Gedanken darüber machen, wie die menschlichen Verhaltensanpas- sungen in urzeitlichen Situationen funktioniert haben; was deren Nutzeffekt in archaischer Vergangenheit gewesen sein könnte – denn viele unser Verhaltensweisen haben in modernen Zeiten ihren Sinn verloren oder sind sogar nachteilig geworden.